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Vergabe: Wenn ein kleiner Kindergarten zur Nagelprobe wird

Interview mit Dr.-Ing. Werner Weigl im Deutschen Ingenieurblatt 09/2021

15.09.2021 - Berlin

Vergabe: Wenn ein kleiner Kindergarten zur Nagelprobe wird

Ober- und Unterschwellenbereich, Prospekt-Entscheidungen und Generalplanervergaben - im Bereich der Auftragsvergabe sind diese Wörter keine Unbekannten für die Beteiligten. Auch wenn es viele betrifft und die Erfahrungen sich ähneln, wird selten transparent und nachvollziehbar nach außen kommuniziert, wo der Schuh bei den Planenden im Vergabewesen grundsätzlich drückt. Lesen Sie hier das Interview mit Dr. Werner Weigl, 2. Vizepräsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau und Vorsitzender des Ausschusses Vergabe der Bundesingenieurkammer.

Interview

Dr.-Ing. Werner Weigl 
Dr.-Ing. Werner Weigl

Herr Weigl, in anderen Interviews und Gesprächen in der vergangenen Zeit haben Sie bereits erklärt, welche Positionen diskutiert werden und welche Entwicklungen zu erwarten sind. Aufgrund der Komplexität der Thematik wäre es hilfreich, wenn wir uns einen allgemeinen Überblick über den Stand der Dinge im Bereich Vergabe verschaffen könnten.

Wir haben an dieser Stelle mindestens zwei Handlungsstränge. Der eine ist die 2019er Entscheidung zur HOAI, die jetzt unmittelbar auf die laufenden Vergabeverfahren nach Europarecht (also oberhalb der Schwellenwerte) durchschlägt.

Der zweite ist das schwebende Vertragsverletzungsverfahren wegen §3 Absatz 7 VgV – grob gesagt, das Zusammenzählen aller Planungsleistungen, unabhängig von wem sie bei einer Baumaßnahme erbracht werden.

Wie stellen sich die Herausforderungen in der Praxis dar?

Ich möchte da ein einfaches Beispiel anführen: Ein Bürgermeister möchte Leistungen für den Bau seines kleinen Kindergartens vergeben. Ein Projekt von etwa 2 Millionen Euro Gesamtkosten. Bei getrennter Betrachtung der Planungsdisziplinen würde er vielleicht den Architekten europaweit ausschreiben, da liegen wir aktuell bei einem Schwellenwert von 214.000 Euro. Die Schwellenwerte werden immer auch mal angepasst; bei der letzten Veränderung ist der Wert etwas nach unten gegangen. Bei einem Honorar, das jenseits von 200.000 Euro liegt, kann man den Aufwand eines VgV-Verfahrens also schon mal betreiben.

Nun hat die EU-Kommission Deutschland wegen einer unzureichenden Umsetzung des europäischen Vergaberechts gegen den bereits genannten §3 Absatz 7 VgV gerügt. Darin sind die Planungsleistungen etwas frei übersetzt von der Europäischen Richtlinie formuliert. Die EU will die Summe für alle zu erbringenden Einzelleistungen zusammenzählen, die Formulierung der VgV sieht aus unserer Sicht jede einzelne Leistung.

Bei dem bereits genannten Kindergarten würde die Leistung des Tragwerksplaners vermutlich irgendwo um die 80.000 Euro liegen – weit unterhalb der Schwelle.

Genau. Bei einer Splittung der Planungsleistungen wäre dieser also dann national auszuschreiben, der Haustechniker – sofern er aufgeteilt wird – ebenfalls, der Freianlagenplaner ganz sicher, die Elektrotechnik auch, und die anderen nachgeordneten Leistungen sowieso.

Wo liegt hier jetzt die Schwierigkeit?

Die EU-Kommission hat dieses Vertragsverletzungsverfahren ja gerade ganz aktuell wiederaufleben lassen und Deutschland um eine Stellungnahme gebeten. Folgt man nun der Meinung der Juristen, sollten alle Planungsleistungen rund um ein Projekt zusammengefasst und europaweit ausgeschrieben werden. Übertragen auf unseren kleinen Kindergarten hieße das, dass Planungsleistungen, die fast zehnfach unter dem Schwellenwert liegen, europaweit auszuschreiben wären. Mit dem Effekt, dass der Bauherr, der für ein Vergabeverfahren mindestens 5.000 Euro ausgibt, enorme Kosten und statt einem VgV-Verfahren fünf hat. Auf der anderen Seite haben die Bieter in einem zweistufigen VgV-Verfahren natürlich auch erhebliche Aufwendungen, um das Verfahren zu gewinnen. Und da reden wir nicht über kleine Summen. Ein nicht unerheblicher Anteil des Honorars wird dann schon durch Akquisitionsaufwendungen aufgefressen.

Wie muss sich ein Laie die Teilnahme an so einem Verfahren und den Aufwand vorstellen? Rechnet es sich für ein kleines Ingenieurbüro, seinen Hut in den Ring zu werfen?

Da ist zunächst das zweistufige Verfahren. Der Teilnahmewettbewerb sortiert die drei bis fünf Bieter aus, die hinterher zum Verhandlungsverfahren eingeladen werden. Erfahrungsgemäß kalkuliert man bei einem einfachen Vergabeverfahren Werte zwischen 500 und 1000 Euro in der ersten Stufe ein. Es gibt natürlich auch komplexe Verfahren, da sind wir in der ersten Verfahrensstufe mit fast fünfstelligen Beträgen dabei. Wir haben für uns als Unternehmen entschieden, dass wir uns an Verfahren in niedrigen Größenordnungen gar nicht mehr beteiligen, da der Akquisitionsaufwand einfach viel zu groß ist. Gerade bei den derzeit geltenden doch sehr hohen formalen und schriftlichen Anforderungen.

Wenn ich dann in die zweite Verhandlungsrunde komme, habe ich zunächst einmal die Unterlagen zu sichten, vielleicht sind schon Planunterlagen dabei. Interessiert mich das Projekt brennend, fahre ich dorthin und schaue es mir an. Dann wird die Präsentation aufbereitet, eventuell wird im Vorfeld bereits ein Gebäudemodell gebaut, um daran alle Aspekte zu Kosten, Qualität, Terminen, Herangehensweise etc. aufzuzeigen. Im eigentlichen Verhandlungstermin sind wir mit mindestens zwei Personen vor Ort. Wenn es hoch kommt, verfassen wir noch eine schriftliche Version des Angebots, überarbeiten das finale Angebot – und kommen somit schnell in einen Bereich, der bei mindestens (sehr schlankes Verfahren) 5000 Euro beginnt und bei größeren Verfahren, so ist es zumindest bei manchen Kollegen der Fall, schon mal sechsstellige Summen verschlingt.

Nimmt man also an, dass ein Büro mit dem Erstangebot den Auftrag von 80.000 Euro gewinnt, dann hat es 500 bis 1000 Euro in die erste und ca. 3000 Euro in die zweite Verfahrensstufe investiert. Von ihrem Gesamtumsatz sind dann schon mal 5 % für Akquisition nur für dieses Verfahren weggegangen.

Das können kleine Unternehmensgrößen kaum leisten.

Insbesondere dann nicht, wenn man sich in der ersten Runde gegen zehn bis 25 Teilnehmer und in der zweiten Runde gegen drei bis fünf Teilnehmer durchsetzen muss. Das kann sich jeder an fünf Fingern abzählen, mit welcher Wahrscheinlichkeit er zum Auftrag kommt. Und es zeigt einfach den Unsinn des Prozederes an der Stelle auf, da der Akquiseaufwand einen Großteil des Honorars frisst.

Wie sieht die Lösung für das Problem aus?

Es gibt da jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder gelingt es uns, Brüssel davon zu überzeugen, dass das Zusammenzählen der unterschiedlichen Planungsdisziplinen nicht zielführend ist. Gerade vor dem Hintergrund so kleinteilig strukturierter Märkte wie in Deutschland und beispielsweise auch Österreich. Oder wir heben den Schwellenwert so an, dass er mit dem Bauschwellenwert korrespondiert.

Der Bauschwellenwert liegt derzeit bei etwas über 5 Mio Euro …

... und wenn man davon ausgeht, dass ein Projekt etwa 20 % Planungskosten verschlingt – das kann mal rauf und mal runter gehen –, dann müsste ein korrespondierender Schwellenwert bei über einer Million liegen. Und ab der Summe könnten wir auch wieder zusammenzählen.

Jetzt passiert bei den VgV-Verfahren an dieser Stelle, induziert durch das Zusammenzählen, oft folgender Effekt: Denkt der Bürgermeister aus unserem Beispiel darüber nach, wie er seinen Kindergarten mit zwei Millionen doch noch schlank bekommt, dann findet er sicher einen findigen Vergabejuristen oder eine triftige Begründung, warum er das Ganze nicht in Einzelgewerken ausschreibt, sondern es an einen Generalplaner vergibt. Er hat dann den Vorteil, nur noch ein VgV-Verfahren durchführen zu müssen.

Der Nachteil wird in aller Regel sein: Die kleinteilige regionale Planungswirtschaft wird bei dem Modell draußen bleiben. Gerade Bauvorhaben dieser Größenordnung sind eigentlich das Futter für die kleineren Unternehmenseinheiten und man sieht zurzeit schon, dass sich in den Bereichen neuerdings eine deutliche Marktkonzentration ergibt. Mit sehr bedrohlichen Tendenzen für unseren Berufsstand. Sowohl bei den Architekten als auch bei den Ingenieuren.

Aus Sicht des Auftraggebers ist diese Form der Vergabe dennoch beinahe nachvollziehbar. Er kürzt das Verfahren für sich ab und hat letztlich nur noch einen Ansprechpartner, mit dem er Absprachen treffen muss.

Einen Einschub muss ich an dieser Stelle bringen: Vom Grundsatz her finde ich das europäische Vergaberecht schon in Ordnung. Bei den entsprechenden Bauvorhaben einer gewissen Größenordnung. Wer einen Auftrag über 200.000 Euro für sich an Land ziehen möchte, der kann sich durchaus einem europaweiten Wettbewerb stellen. Das möchte unser Berufsstand auch. Wir sind nicht gegen diese Regelungen aus Europa. Aber wir stehen den sich daraus ergebenden überbordenden Konsequenzen kritisch gegenüber.

Wo liegen in Ihren Augen die größten Schwachpunkte bei den europäischen Anforderungen?

Wenn wir bei dem beschriebenen Prozedere bleiben, sieht sich der Bürgermeister in aller Regel einem nicht ortsansässigen Planer gegenüber. Dieser wird bei der Größenordnung dann meistens eine entsprechende Herangehensweise haben und ist sicher nicht für den Bürgermeister der lokale, regionale Ansprechpartner, der während der Planungs- und Bauphase und hinterher auch noch zur Verfügung steht. Möglicherweise, als Service, sogar unentgeltlich. Doch das ist eher eine Randnotiz.

Was für mich viel stärker die Unsinnigkeit des Herangehens unterstreicht, ist folgendes: Als Verantwortlicher für das genannte Beispielprojekt mit zwei Millionen finde ich nun eine Begründung, warum ich das nicht mit einem Generalplaner und Einzelgewerkvergaben mache, sondern warum ich Planung und Ausführung in eine Hand gebe. Ein Kindergarten für zwei Millionen soll nun an einen Generalunternehmer gehen. Die europarechtliche Konsequenz hierbei ist: Der Auftrag liegt mit zwei Millionen unter dem europaweiten Schwellenwert für Bauleistungen.

Damit würde für diesen Kindergarten keine einzige Leistung europaweit ausgeschrieben werden.

Exakt. Derzeit liegt der Schwellenwert für Bauaufträge und Konzessionsvergaben bei 5.350.000 Euro. Für Liefer- und Dienstleistungsaufträge liegt er bei 214.000 Euro, im Sektorenbereich bei 428.000 Euro und für Aufträge der oberen und obersten Bundesbehörden bei 139.000 Euro. Der Kindergarten fällt also raus.

Das kann nicht im Sinn der europäischen Markttransparenz sein und zeigt allein mit diesem Beispiel sehr deutlich, wie sinnfrei diese Diskrepanz zwischen Schwellenwert Bau und Schwellenwert Planung beim Zusammenzählen aller Planungsleistungen ist.

In der Folge …

… führt das letztlich auch dazu, dass am Ende des Tages weniger Leistungen europaweit ausgeschrieben werden. Und daraus ergibt sich dann natürlich auch, dass die ganzen kleineren Planungsleistungen und deren Erbringer, seien es Architekten oder Ingenieure, aus diesem Markt verdrängt werden. Ihnen bleibt dann noch der Häuslebauer. Aber auch hier verkaufen viele Firmen ja Planung und Bau aus einer Hand. Das heißt: Für die Kleinen ist der Markt eng und wird immer enger. Wenn da nicht bewusst gegengesteuert wird, bleiben sie auf der Strecke. Und ich rede hier nicht von kleinen Unternehmenseinheiten mit ein oder zwei Personen, ich meine die Büros, die zehn oder zwanzig Leute beschäftigen.

Das Kleine, Mittelständische, was Deutschland in Krisenzeiten so stabil macht, gerät bei diesen Voraussetzungen unter Druck. Es drängt sich manchmal der Eindruck auf, dass das gewünscht ist.

Aber können wir das wollen? Von der Politik erhalten die KMUs, die Jungen, die Start-ups immer Lippenbekenntnisse. Das muss dann auch mit Konsequenzen in den Marktbedingungen umgesetzt werden. Und da sehe ich momentan durchaus eine Gefahr, dass das ebenfalls auf der Strecke bleibt.

Es kommt ein zweiter Aspekt dazu, der die mittleren Unternehmenseinheiten betrifft: Wir sehen bei Vergabeverfahren, die tatsächlich und berechtigterweise über dem Schwellenwert liegen, eine verfahrensimmanente Tendenz. Die wird uns nicht von Brüssel vorgegeben, sondern ist einigermaßen hausgemacht.

Wir hatten bereits vor einigen Jahren die Situation, dass die Referenzanforderungen im Teilnahmewettbewerb bei einigen Projekten durchaus hoch und speziell angesetzt waren. So waren beispielsweise Büros gefragt, die einen Hubschrauberlandeplatz auf dem Dach eines 50-Millionen-Krankenhauses geplant haben. Wer das vorweisen konnte, konnte diese Referenz mehrfach nennen und war so gegenüber den Mitbewerbern klar im Vorteil. Doch wer plant so etwas schon und das vielleicht noch häufiger? Solche Referenzen können in aller Regel nur die ganz großen Unternehmenseinheiten vorweisen.

Damals hatte sich – so mein Eindruck – bereits erfolgreich Widerstand gegen überzogene Referenzanforderung geregt.

Heute poppt das Thema aber wieder auf. Beispielsweise im Bereich der Holz-Hybridbauweise. Sie ist innovativ und modern, aber es werden Referenzgrößen gefordert, die bislang einfach nicht so häufig ausgeführt wurden. Und auch der Markt ist überschaubar, da nur einige wenige die Referenzanforderungen erfüllen können.

Um konkret zu werden: Eine Schule in Holzhybridbauweise mit 20 Millionen Bauvolumen oder das Wohnungsgebäude mit 10.000 m2 Wohnfläche wurden noch nicht so häufig umgesetzt, dass eine breite Masse an Unternehmen diese Referenz nachweisen kann. Manche können natürlich Holzhybrid und haben auch Prüfingenieure Holzbau in ihrem Unternehmen, also mit Sicherheit die Kompetenz, das durchzuführen. Sie haben das im Kleinen, beispielsweise in der Denkmalpflege und in anderen Bereichen, seit Jahren erfolgreich eingesetzt. Aber diese Referenzen nutzen bei den großen Bauvorhaben nichts.

Was sind die Alternativen?

Wir haben uns als Kammer an die Bearbeitung von Leitfäden und Formularen gemacht, die bei uns online abrufbar sind. Darin greifen wir diesen Aspekt auf und versuchen, bei den Referenzprojekten den Zusammenhang zwischen Projektgröße und speziellen Kenntnissen aufzulösen. Die Fragestellung ist: Was braucht der Auftraggeber? Der Auftraggeber braucht ein Büro das ein 20- oder 50-Millionen-Projekt umsetzen kann. Und er braucht jemanden, der Holz-Hybrid kann. Das muss nicht zwingend ein Unternehmen sein, das bereits Holz-Hybrid-Bauten in der Größenordnung von 20 Millionen Euro umgesetzt hat. Wenn jemand mit 5 Millionen Euro Holz-Hybrid bauen kann, kann er es auch mit 20 Millionen.

Diese Problematik tritt zurzeit wieder verstärkt auf und führt ebenfalls dazu, dass große Unternehmenseinheiten deutlich bevorzugt werden. Denn sie haben dann einfach mehr Chancen, solche Referenzobjekte vorzuweisen.

Welchen Einfluss nehmen Vergabebetreuer auf den Ablauf der Verfahren?

Das ist ein weiterer Aspekt bei den Referenzanforderungen. Wir kennen das auch, dass Vergabebetreuer sagen, sie wollen nicht drei Referenzen, sondern man kann beliebig viele Referenzen vorlegen. Die Eignung des Planers wird dann in der Gesamtschau aller Referenzen beurteilt. Das halte ich für mehr als fraglich, denn für mich gibt es ein Mehr an Eignung eigentlich nicht. Wenn jemand etwas bauen kann, und das kann er im Extremfall mit einer Referenz nachweisen, dann bedeuten fünf Referenzen nicht automatisch mehr Kompetenz. Es sagt lediglich aus, dass er vielleicht fünf Leute hat, die fünfmal eine Referenz erbracht haben. Das ist für mich aber kein „Mehr“ an Eignung. Das sehe ich sehr kritisch.

Es heißt, die Verschriftlichung der Verfahren hat in der letzten Zeit tendenziell zugenommen.

Ja. Bei einigen Verfahren sind nicht mehr nur die Referenzunterlagen und die Präsentation einzureichen, anhand dieser dann im Verhandlungsgespräch z. B. die Herangehensweise an die Aufgabe darzustellen und darüber zu verhandeln ist. Sondern wir erleben im zunehmenden Maß, dass vorab 30 Seiten schriftliches Konzept einzureichen sind, in Prosa und Schriftgröße nicht kleiner als 12, mit entsprechenden zeichnerischen Darstellungen, alles in DIN A4. Für mich ist das eine reine Prospektvergabe. Eine Planungsleistung wird ja nicht wie ein Auto oder wie eine Bohrmaschine eingekauft, sondern dahinter steckt immer eine ingenieurtechnische Kompetenz. Die finde ich nicht in einem Prospekt. Sondern die zeigt sich in der persönlichen Vorstellung der Ingenieurin oder des Ingenieurs während der Verhandlung. Diese Ingenieurkompetenz ist das Entscheidende! Wird ein Vergabeverfahren auf Basis eines schriftlichen Prospekts getroffen, kann es sein, dass derjenige gewinnt, der die beste Marketingabteilung hat.

Aber ich als Ingenieur verstehe mich immer noch als Berater des Bauherrn, als sein Treuhänder. Und als Vertreter unseres Berufsstands wehre ich mich einfach dagegen, dass wir unsere Ingenieurleistungen nach Prospekt beurteilen lassen.

Warum liegt das so im Trend? Der Aufwand ist doch auch für den Auftraggeber enorm, diese Prospektvergaben im Detail zu sichten und zu beurteilen.

Eine Ursache ist sicherlich der formaljuristische Aspekt, dass Angebotsbestandteile schriftlich und womöglich auch noch von allen Bewerbern zum gleichen Zeitpunkt vorliegen müssen. Natürlich kann eine Präsentation nicht von zwei Bewerbern zeitgleich stattfinden, sondern sie wird immer nacheinander abgehalten. Es hat schon Juristen gegeben, die das vergaberechtlich beanstandet haben, da keine gleichen Voraussetzungen vorlägen. Ich sehe das weniger eng, weil es ja letztlich darum geht, den besten Planer zu finden und nicht vorrangig darum, ein formal korrektes Verfahren abzuwickeln. Auch wenn ein Verfahren natürlich immer korrekt ablaufen muss.

Das andere ist: Liegen die schriftlichen Unterlagen dem Verfahrensbetreuer vor, hat dieser in der eigentlichen Verhandlung wesentlich weniger Dokumentationsaufwand als sonst.

Generell entsteht gerade der Eindruck, dass seitens vieler Verfahrensbetreuer das Thema der juristisch korrekten Verfahrensabwicklung die Oberhand gewinnt.

Wie lässt sich dagegen steuern?

Es gibt seit einer Weile eine Initiative einiger Länderkammern, diesem Trend mit einem qualifizierten Vergabeberater entgegenzutreten. Das Ziel ist, mehr Ingenieurkompetenz in die Verfahrensbetreuung zu bringen.

Wird das formale Verfahren so in den Vordergrund gestellt, auch mit der zunehmenden Verschriftlichung, dann wird auch das dazu beitragen, dass Unternehmenseinheiten mit eigener Marketingabteilung oder eigenen Juristen, also die über entsprechende Ressourcen verfügen, in diesen Vergabeverfahren nochmals deutlich bevorzugt werden. In einem kleinen Unternehmen übernimmt die Angebotserstellung bei einem Vergabeverfahren im Wesentlichen der Unternehmensinhaber. Und der hat normalerweise keinen Marketingspezialisten, der ihm so ein Ding aufbereitet. Das führt natürlich zu einer weiteren Verschiebung des Markts: neben den Referenzen, neben der Generalplanung, hin zu einer weiteren Fokussierung und Konzentration.

Der juristische Einfluss im Baubereich mag eine problematische Tendenz sein. Dazu kommt der europäische Versuch, unter vielen Ländern größtmögliche Homogenität zu schaffen. Ein Spagat für alle Beteiligten.

Ich mache seit Anfang der VOF europaweite Ausschreibungen mit. Und habe bislang bei den Projekten, für die unsere Unternehmensgröße (90 Mitarbeiter, Anm. d. Red.) Interesse zeigt, in nur einem Verfahren in der zweiten Runde einen europäischen Mitbewerber gehabt. Bei keinem unserer Projekte, die über europaweite Ausschreibungen gekommen sind und für die wir den Auftrag erhalten haben, gab es überhaupt einen europäischen Mitbewerber im Planungsteam.

Dann müssen wir also zunächst in Deutschland ansetzen, die Vergabeverfahren auf die Kernkompetenzen der Planenden herunterbrechen, die Qualität in den Vordergrund stellen und formaljuristische Einhaltungen reduzieren.

Genau. Und wir müssten – das ist ein wirklich wichtiger Punkt – dahin kommen, dass wir den Schwellenwert entweder anheben oder jede Planungsleistung einzeln dem Schwellenwert gegenüberstellen. Das wäre jetzt die Aufgabe, die wir nach Brüssel geben müssen und die wir dort auch adressieren.

Das andere Thema ist ein nationales Thema – nämlich die schlanken Vergabeverfahren. Und da spielt auch der Berufsstand eine wichtige Rolle. Wir sollten uns als Ingenieure ernsthaft fragen, ob wir jeden Auftrag, den wir nicht bekommen, juristisch unterstützt einem Rüge- oder Klageverfahren unterziehen wollen.

Mein Unternehmen bekennt sich dazu, dass wir in der ersten Runde eines Teilnahmewettbewerbs eventuell Fragen stellen, ob manche Kriterien denn so gewollt sind, durchaus an der einen oder anderen Stelle auch mal rügen. In der zweiten Runde würde ich gegebenenfalls noch eine Rüge aussprechen, diese aber sicher nicht weiterverfolgen, wenn ihr nicht stattgegeben wird. Und schon gar nicht entsprechend klagen.

Welche Folgen hat es, wenn der Klageweg nach verlorenem Verfahren beschritten wird?

Die Konsequenzen sind doch für alle schon spürbar. Überzogene Rüge-Verfahren führen zum immer stärker an formalen Kriterien orientierten, aber wenig praxisgerechten Vergabeverfahren.

Was wir noch gar nicht besprochen haben, ist das Thema Preiswertung.

Auch hier gibt es zwei Aspekte: Wir haben den qualitativen Wertungsteil – also die Qualitätskriterien und auf der anderen Seite den Preis. In der Diskussion darum, wie viel der Preis in der Wertung ausmachen darf, werden die unterschiedlichsten Zahlen genannt. Deutlich überwiegen muss jedoch der Leistungswettbewerb. Meiner Erfahrung nach ist es jedoch relativ egal, wie hoch der Preis bewertet wird, wenn die Leistungs- und Qualitätskriterien nicht differenziert bewertet werden. Das erfordert natürlich einen kompetenten Auftraggeber und Verfahrensbetreuer. Mit einer Qualitätswertung macht man sich möglicherweise angreifbar. Aber ein Preis ist ein Preis. Der ist per se nicht anfechtbar. Deshalb weichen viele Wertende darauf aus.

Die Bayerische Ingenieurekammer-Bau hat darauf reagiert und ein „Fair-Price-Modell“ entwickelt.

Das wurde jetzt auch auf unserer Homepage veröffentlicht und beinhaltet im Wesentlichen zwei Komponenten: Einmal eine Auftragswertschätzung des Auftraggebers einschließlich aller besonderen Leistungen und Nebenkosten und auf der anderen Seite den Mittelwert der beim Auftraggeber eingegangenen Angebote. Dieser Mittelwert wird aber um die Ausreißer bereinigt. Es wird dann derjenige am besten gewertet, der diesem Preis am nächsten kommt. Für Abweichungen nach oben und nach unten wird ein entsprechender linearer Abschlag auf die Preiswertung festgelegt, wie man es aus den anderen Modellen kennt.

Welche Schritte werden folgen?

Wir haben das Thema der Preiswertung definiert und auch die Referenzen zur Diskussion gestellt. Dort insbesondere die Angemessenheit und Berücksichtigung von Zusatzreferenzen für die Spezialqualifikationen. Das soll auch kleineren Unternehmenseinheiten wieder die Teilnahme an den Verfahren ermöglichen. Der dritte Schwerpunkt ist das Thema Schwelle. Und als vierten Aspekt werden wir vielleicht noch die Verfahrensbetreuung angehen.

Wovon versprechen Sie sich den meisten Erfolg?

Es ist tatsächlich ein Bohren dicker Bretter. Aber allen Gesprächspartnern, mit denen ich bislang gesprochen habe, leuchtet mein Beispiel mit dem Bürgermeister und seinem kleinen Kindergarten ein. Dieser hat die Wahl, europaweite Verfahren zu übertreiben, bis hin zu gar keiner europaweiten Ausschreibung. Und das leuchtet dann auch den Verantwortlichen in Brüssel ein.

Der wichtigste Aspekt ist tatsächlich das Thema der Referenzen, um überhaupt eine breite Marktteilnahme für viele Unternehmen zu ermöglichen. Und das zweite ist sicher das Thema der schlanken Verfahren mit erfüllbaren Kriterien für große und kleine Büros.

Um noch einmal kurz auf den Preis zurückzukommen: Haben Sie den Eindruck, dass durch das Urteil zur HOAI in den Vergabeverfahren die Preise gedrückt werden?

Sowohl die Erfahrung aus den zurückliegenden Vergabeverfahren, an denen wir als Unternehmen selbst teilgenommen haben, als auch die Rückmeldungen der Kollegen in den Kammern zeigen, dass der Preisverfall in den Vergabeverfahren dramatisch geworden ist.

Das wird dazu führen, dass wir uns am Ingenieurmarkt, im Planungsalltag genauso eines Claim-Managements bedienen müssen, wie wir das aus der Bauausführung schon lange gewohnt sind. Mit einem entscheidenden Unterschied: Wir Ingenieure verstehen uns als Treuhänder des Bauherrn und das schließt ein Claim-Management gegen den Bauherrn aus. Denn da sollte ein Vertrauensverhältnis herrschen.

Der Trend führt nun dazu, dass auf der einen Seite die Planer ein entsprechendes Claim-Management betreiben müssen, mit einem enormen Aufwand; auf der anderen Seite aber auch die Auftraggeber ihrerseits die angemeldeten Ansprüche – bis hin zur Unterstützung mit Sachkompetenz durch Juristen und Gutachter – abwehren müssen und dort ebenfalls Aufwände entstehen.

Ihr Appell zum Schluss …

Ich hätte einen an die Auftraggeber: Bitte sorgen Sie dafür, dass technische Verfahrenskompetenz in die Vergabeverfahren kommt und – beginnend bei den Referenzanforderungen und dem weiteren Ablauf des Verfahrens – vielen Unternehmen die Chance gegeben wird, daran teilzunehmen. Es wäre zu begrüßen, wenn insbesondere die kommunalen Auftraggeber an ihre regionalen Partner dächten.

Und mein Appell an die Kollegen wäre: sich erstens nicht auf den ultimativen Preiskampf einzulassen. Und zweitens in den Verfahren Mut zu haben, bei unangemessenen oder nicht korrekten Ausschreibungen die Teilnahmebedingungen zu rügen; aber sich im zweiten Verfahrensschritt sehr wohl zu überlegen, ob man bei einem entgangenen Auftrag wirklich zur Vergabekammer und zum Oberlandesgericht rennen muss.

Vielen Dank für das Gespräch.

Interview als PDF

Das Interview führte Susanne Scherf. Wir bedanken uns beim Deutschen Ingenieurblatt für die freundliche Genehmigung, das Interview abdrucken zu dürfen. www.deutsches-ingenieurblatt.de


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