08.03.2025 - München
Mehr Pippi Langstrumpf wagen – mit diesem Appell sprach sich Anneliese Hagl Mitte Februar beim Regionalforum "Bauingenieurin – gestern, heute, morgen" in Nürnberg für mehr Frauen in der Baubranche und in Führungspositionen aus. Zum Auftakt einer Interviewserie mit Frauen im Ingenieurwesen haben wir mit der Glasbauexpertin gesprochen.
Frau Hagl, wann haben Sie entschieden, Bauingenieurin zu werden und warum?
1973 hat mich mein Vater „überredet“ Bauingenieurwesen zu studieren. Eigentlich wollte ich zu diesem Zeitpunkt noch Goldschmiedin werden, obwohl ich technisch und handwerklich damals schon sehr versiert war. Mein Vater hatte die Vorstellung, dass ich einen Bauingenieur heirate, der dann die Baufirma meines Vaters hätte übernehmen können. Aus diesem Schwiegersohn ist nichts geworden…
Die Freude am Beruf kam erst nach dem Studium, als ich beim Tun begriff, wie sich die vielen Fächer aus dem Studium zusammenfügten. Dann erst wurde ich zur leidenschaftlichen Ingenieurin.
Sie haben 1978 Ihr Studium an der Fachhochschule München abgeschlossen. Wie viele Kommilitoninnen hatten Sie damals?
Unter uns 42 Studenten im Jahrgang waren insgesamt 4 Frauen. Rückblickend herrschte damals ein Zeitgeist vor, der heute nicht mehr vorstellbar ist.
Als ich zu meiner ersten Vorlesung im Herbst 1973 den Hörsaal betrat, wurde ich vom Professor mit den Worten empfangen: „Gehen Sie nach Hause, wissen Sie nicht, dass Frauen das hehre Schild der Bauingenieure beschmutzen.“
Ein Kommilitone meinte dann bei der Verleihung der Graduierungsurkunde zu mir, dass ich mit dem Studium sowieso nichts anfangen könne, da ich ja mal heiraten werde.
Nun, es ist anders gekommen und ich konnte mein Wissen aus dem Studium sehr wohl nutzbringend einsetzen und maßbeglich erweitern!
1989 haben Sie sich dann mit dem „A. Hagl Ingenieurbüro für Bauwesen“ selbstständig gemacht. Wie viele andere Gründerinnen sind Ihnen aus dieser Zeit bekannt?
Soweit ich weiß, war ich damals die erste Bauingenieurin in München mit eigenem Ingenieurbüro. Eine Netzwerkbildung, wie sie heute möglich ist, war damals völlig unbekannt.
Hatte es einen bestimmten Grund, dass Sie im Büronamen Ihren Vornamen nur abgekürzt haben? Fürchteten Sie, man würde Anneliese für weniger kompetent halten als z.B. Anton?
Dafür gab es einige Gründe:
Der Simpelste und auch wichtig: Ich hatte und habe eine durchaus ambivalente Beziehung zu meinem Vornamen.
Dann ist der Büroname „A. Hagl Ingenieurbüro für Bauwesen“ sowieso schon recht lang. Aus dem „A“ dann noch die „Anneliese“ zu machen, wäre dann schon eher zu lang geworden.
Und ja, außerdem fand ich, dass es sinnvoller wäre die „Frau“ etwas zu verstecken. Um überhaupt mit potentiellen Kunden ins Gespräch zu kommen, war das durchaus hilfreich.
Erzählen Sie uns bitte ein bisschen von Ihrer Spezialdisziplin. Was fasziniert Sie daran?
Schon am Anfang meines Berufslebens fand ich es außerordentlich spannend ein Tragwerk zu entwickeln, egal aus welchem Material. Kräfte innerhalb einer Struktur zu leiten und Knotenpunkte zu gestalten und so den Kraftfluss sichtbar zu machen, das war immer schon MEINS.
Der Werkstoff Glas, mit dem ich ab den 90er Jahren zu arbeiten begann, erfordert eine besondere konstruktive Feinfühligkeit. Glas, ein fast unsichtbarer Werkstoff, ist ein geheimnisvolles Material mit 5000 Jahren Geschichte und dennoch voller Mystik und Widersprüche. Glas hat eine amorphe Struktur und ist physikalisch gesehen eine erstarrte Flüssigkeit. Schön und widerspenstig zugleich, faszinierend und eigenwillig.
Aus diesem Werkstoff ein tragendes Bauteil zu gestalten und mit den anderen Baustoffen wie Stahl und Aluminium ein Team zu schmieden, das sich in seinen Eigenschaften ideal ergänzt und so zu Höchstleistungen im Tragwerksverhalten bereit ist, fand ich von Anfang an faszinierend. Kombiniert mit der Technologie des Klebens sind Konstruktionen mit großer Ästhetik und Eleganz möglich.
Welche Erfahrungen haben Sie denn, vom baulichen abgesehen, mit der „gläsernen Decke“ gemacht?
Als junge Ingenieurin war mir von Anfang an bewusst, dass ich als Frau in diesem Beruf ein „Exot“ bin. Außerdem hat sich bald gezeigt, dass ich auch ein Talent hatte Menschen zu führen und meine Ideen überzeugend zu vertreten. Insoweit fühlte ich mich auf meinem Weg wenig behindert – ich war immer „der bunte Hund“.
Möglicherweise wäre das anders gewesen als Angestellte in einem größeren Ingenieurbüro mit mehr männlicher Konkurrenz. Mein Weg in die Selbständigkeit war da vielleicht der bessere Weg – hier war ich die Chefin. Das war quasi eine Flucht nach vorne, wenngleich vielleicht auch der härtere Weg.
Bei diversen Vorträgen – auch im Ausland – war es für mich immer mal verwunderlich, wenn ich feststellte, dass man mir als Frau irgendwie nicht zutraute ein ingenieurmäßig komplexes Thema wie beispielsweise hyperelastische Werkstoffe zu beherrschen. Dieses „nicht zutrauen“ habe ich schon als gläserne Decke erlebt, nämlich in der Art einfach nicht ausreichend ernst genommen zu werden.
Wie ist Ihnen der Spagat zwischen Berufs- und Privatleben gelungen? Würden Sie rückblickend etwas anders machen?
Das ist auch so eine Frage, die generell nur an Frauen gestellt wird...
Aber ja, die Familienarbeit bleibt leider immer noch an uns Frauen kleben und wir fühlen uns hierfür irgendwie auch zuständig. Hier hatte ich es auch manches Mal mit schierem Unverständnis, Ablehnung und auch teilweise mit meinem schlechtem Gewissen zu tun.
Natürlich war es ein organisatorischer Spagat, insbesondere in den Jahren als ich alleinerziehend war. Dennoch gelang es mir irgendwie alles zu organisieren und ich habe in diesen Jahren außergewöhnlich diszipliniert gelebt unter völligem Verzicht auf persönliche Interessen.
Dennoch: In der Nachschau würde ich alles wieder genauso machen.
Haben Sie einen Ratschlag für weibliche Führungskräfte?
Eigentlich nur: Fantasie entwickeln und ES einfach tun und nie um Erlaubnis fragen.
Berufspolitisches Engagement von Frauen ist ungleich schwieriger, solange die Verantwortung für Familienarbeit auf die Schultern von Frauen abgeladen wird. Mein berufspolitisches Engagement habe ich immer als Mandat insbesondere für Ingenieurinnen gesehen. Und hier glaube ich, müssen sich Ingenieurinnen hier weiter und stärker einbringen.
Insbesondere für weibliche Führungskräfte halte ich die Sichtbarkeit nach außen für enorm wichtig. Hierdurch erst entstehen weibliche Vorbilder an denen sich jüngere Ingenieurinnen orientieren können.
Pippi Langstrumpf – ein Leitbild für uns?!
Wie bewerten Sie die Rahmenbedingungen des Berufes? Wo sollten die Geschäftsführungen der Büros etwas verändern, um für Nachwuchskräfte attraktiver zu sein?
Die Rahmenbedingungen haben sich seit „meiner Zeit“ sicher verbessert. Allerdings müssten flexiblere Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen geschaffen werden. Das ist ein generelles Anliegen, denn auch männlichen Ingenieuren sollte / muss eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglicht werden.
Für alle berufstätigen Frauen ist eine wirklich verlässliche Kinderbetreuung rund ums Jahr essentiell. Das ist allerdings auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Leider werden auch heute noch männliche Ingenieurskollegen belächelt, wenn sie Erziehungsurlaub nehmen.
Und in Bezug auf die Kammer? Wo sehen Sie hier noch Potential?
Mittlerweile haben wir ja deutlich mehr weibliche Absolventinnen an den Hochschulen, die auch noch fachlich exzellent qualifiziert sind. Es scheint mir an dieser Stelle erforderlich zu sein, dass sich die Kammer viel mehr um die Belange von jungen Ingenieurinnen kümmert über eine gezielte Förderung von Ingenieurinnen.
Nachholbedarf gibt es aus meiner Sicht insbesondere für die Förderung der Soft Skills von Frauen – eine Aufgabe für die Ingenieurakademie.
Aus meiner Sicht sollte sich der Wille einer gezielten Förderung von Ingenieurinnen auch in der Zusammensetzung des Präsidiums zeigen über mindestens zwei weibliche Vorstandsmitglieder. Das sehe ich insbesondere als ein Zeichen nach außen, dass die Ingenieurekammer eine gesamtgesellschaftlich verantwortliche Rolle zu spielen gewillt ist.
Frau Hagl, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Fotos: BayIka-Bau und Anneliese Hagl
Die Baubranche befindet sich im Wandel, auch hinsichtlich der Struktur der am Bau Beteiligten. War die Baubranche bis vor ein paar Jahrzehnten vor allem eine Männerdomäne, ergreifen heute immer mehr Frauen ein Ingenieurstudium und streben nach verantwortungsvollen Positionen oder eröffnen ein eigenes Büro. Der Ausschuss „Leben | Arbeit | Karriere“ hatte am 13.02.2025 unter dem Motto "Bauingenieurin: Gestern, heute, morgen“ zum Austausch unter Kolleginnen und Kollegen aller Disziplinen zum Regionalforum nach Nürnberg eingeladen. Lesen Sie hier unseren kurzen Rückblick und sehen sich die Fotos an!
20.05.2025 - 09:00 - 17:00 Uhr - München
Der Workshop bietet ein umfassendes Training für Frauen, um ihre Persönlichkeit und ihren Selbstwert neu zu erfahren und zu stärken. Lernen Sie die Spielregeln optimaler Kommunikation anhand von Beispielen aus der Praxis kennen und gewinnen Sie mehr Selbstverantwortung und Gelassenheit. So werden Sie zukünftig wirksam kommunizieren und überzeugen, Machtspiele entlarven und gekonnt damit umgehen. Durch Selbstanalyse, Rollenspiele und Beobachtungen werden individuelle Sprachkompetenzen in Vortrag, Einzelgesprächen und Gruppenarbeit offen gelegt und vertieft.
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