07.12.2018 - München
Kammerpräsident Prof. Dr. Norbert Gebbeken befasst sich in diesem Beitrag damit, wie die Digitalisierung das Handeln in der Bauindustrie verändern wird. Er betont, wie entscheidend das partnerschaftliche Planen und Bauen werden wird, damit alle Partner am Bau von der Digitalisierung der Branche profitieren können. "Nicht nur die Planung wird eine Gemeinschaftsaufgabe, sondern auch die Ausführung", so Gebbeken.
Der Buchdruck ab 1450 ermöglichte die günstige Verbreitung von Nachrichten und Wissen. Mehr noch, das gedruckte Wort schaffte eine Eindeutigkeit der Inhalte, da diese nicht wie bei einer mündlichen Überlieferung von Station zu Station einer Veränderung unterworfen wurden. Die Technik des Drucks ist heute allgegenwärtig. Die Struktur unseres wirtschaftlichen Lebens bilden Verträge und Dokumente, die gedruckt und unterschrieben vorliegen.
In der Bauindustrie sind Pläne das elementare Medium zum Beschreiben der Gebäude und der Konstruktion. Sie definieren an den Schnittstellen der Beteiligten die Datenübergabe. Pläne sind ein erfolgreiches Medium, da sie über Generationen von Bauschaffenden die Umsetzung von Projekten und die Dokumentation des Gebauten gewährleistet haben. Heute befinden wir uns mitten in einem gravierenden Umbruch. Die Digitalisierung schickt sich an, die analoge Welt zu verändern. Sie wird die Menschheitsgeschichte genauso tiefgreifend beeinflussen wie einst der Buchdruck.
Die Digitalisierung steht nicht nur für die nahezu ungehemmte Verbreitung von Nachrichten, sondern vielmehr für die Schaffung durchgängiger Prozesse. Wo heute Schnittstellen sind, mit der Überführung von Daten von einem Format in ein anderes, wird in Zukunft ein durchgängiger Datenfluss vorhanden sein. Dadurch werden sich Prozesse beschleunigen, Arbeitsweisen verändern und Arbeitsschritte überflüssig.
Digitalisierung ist zunächst die Verarbeitung von Daten in digitaler Form. Vereinfacht zusammengefasst das, was im Computer geschieht.
Ohne Übertreibung ist festzustellen, dass sich die Digitalisierung bei allen Mitgliedern der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau durchgesetzt hat. Die digitale Bearbeitung ist seit nahezu einer Ingenieurgeneration gelebte Praxis. Berechnungen und Zeichnungen werden mit und an Computern erstellt.
Viele herausragende Bauingenieure stehen für die Digitalisierung unserer Branche, sei es Konrad Zuse für die Entwicklung einer frei programmierbaren Rechenmaschine, Georg Nemetscheck für das computerunterstützte Zeichnen oder Olek Zienkiewicz für die Entwicklung numerischer Verfahren zur statischen Berechnung.
Ingenieure entwickeln in ihren Köpfen Lösungen und setzen sie in Computern um. Bisher abstrahieren sie Bauteile, ob Balken, Stütze oder Rohre, und stellen sie mit Strichen dar. Der Schritt, dass Bauteile im Computer virtuelle Objekt sind, die Grundidee des Building Information Modeling, ist in diesem Sinne nur eine evolutionäre und keine revolutionäre Entwicklung. Die Bayerische Ingenieurekammer-Bau unterstützt ihre Mitglieder in diesem evolutionären Prozess durch Fortbildungsinitiativen wie den “BIM-Kochkursen“ an der Ingenieurakademie Bayern.
Das digitale Arbeiten endet jedoch derzeit an der Pforte der Ingenieurbüros. Die Daten werden in analoger Form an die Baustellen übergeben und für die Zukunft archiviert. Für diesen Medienbruch gibt es technische, organisatorische und rechtliche Gründe. Die Arbeiten auf den Baustellen sind noch sehr stark handwerklich geprägt. Auch wenn heute Maschinen die Arbeiten unterstützen, gibt es nur sehr wenige Roboter, die selbstständig Arbeiten ausführen. Anders in der stationären Industrie, wo Roboter eingesetzt werden, die Daten aus der Planung direkt umsetzen können. Aus der arbeitsteiligen Organisation der Bauindustrie ergeben sich zahlreiche Schnittstellen, für die Standards für die rechtssichere Beschreibung von Vertragsgegenständen notwendig sind. Auch hier sind Papierformate noch gängige Praxis.
Bei der Digitalisierung der Bauindustrie steht aktuell die Schaffung einer gemeinsamen Datenbasis für alle Beteiligten, Bauherr, Planer, Ausführende und Betreibende im Fokus. In der Welt des BIM wird die gemeinsame Datenbasis als Digitaler Zwilling bezeichnet, in der das Gebäude digital erbaut wird. In diesem Modell planen die verschiedenen Fachplaner ihre Gewerke.
Mit dem Modell kann das Bauwerk umfassend und präzise beschrieben werden. Die Ausführenden greifen die Daten direkt aus dem Modell ab, um ihre Arbeiten auszuführen. Mit der Ausführung entstehen neue Daten über die Qualität der Ausführung und der verwendeten Bauprodukte. Das Bau-Soll und das Bau-Ist werden in dem digitalen Zwilling abgebildet. Der digitale Zwilling ist die Grundlage für die Abrechnung. Nach Übergabe an den Bauherrn managt dieser mit dem Modell seinen Betrieb und schreibt es fort.
Für diese Vision sind noch viele technische Entwicklungen notwendig, an denen gearbeitet wird. Neben den technischen Entwicklungen sind auch juristische Klärungen erforderlich. Wie sehen zukünftig Verträge aus, wenn in einem digitalen Modell gearbeitet wird. Gibt es dann etwa eine gesamtschuldnerische Haftung nicht nur für das Gebäude, sondern auch für den digitalen Zwilling? Ist die Blockchain-Technologie geeignet, um die Leistungen und deren Stand rechtssicher abzugrenzen?
Die Digitalisierung wird bei erfolgreicher Umsetzung das Handeln in der Bauindustrie verändern. Die heutige Bauindustrie ist dadurch geprägt, dass der wirtschaftliche Erfolg der einzelnen Beteiligten, sei es Erfolge für den Bauherrn durch günstige Vergaben oder die der Bauunternehmer durch Nachträge im Wesentlichen auf Asymmetrien in der Datenlage beruhen. Die Preisbildung erfolgt nicht in einem transparenten Markt, sondern der Auftragnehmer ist angehalten, durch den geringsten Preis den Auftrag zu erlangen und über Nachträge seinen wirtschaftlichen Erfolg zu sichern. Die bisherigen Datenmodelle mit sehr vielen Beteiligten unterstützen dieses Wirtschaftsmodell.
Ein präzises Datenmodell, das alle Beteiligten auf einen gleichen Wissensstand bringt, verändert das Geschäftsmodell. In diesem Geschäftsmodell ist ein partnerschaftliches Handeln gefordert, aber es fördert es auch. Es muss ein hohes gegenseitiges Vertrauen vorhanden sein, wenn alle Beteiligten in einem „Planungsmodell“ arbeiten. Nicht nur die Planung wird eine Gemeinschaftsaufgabe, sondern auch die Ausführung.
Ein großer Nutzen eines digitalen Zwillings ist die Simulation des Betriebs des Gebäudes, um es zum Beispiel in Bezug auf Energienutzung zu optimieren. Damit ist es unabdingbar, die Planung bis zur Ausführungsreife zu führen, bevor gebaut wird. Bauprodukte können nicht mehr produktneutral ausgeschrieben werden. Die Hersteller müssen schon in der Planungsphase - nicht nur informell- ins Boot geholt werden. Es ist offensichtlich, dass für Vergaben künftig mehr Parameter als nur der Preis betrachtet werden müssen. Eine positive Entwicklung.
Auch die Aufteilung in den heute gelebten Planungsphasen ist nicht zielführend. Die in der HOAI festgelegten Planungsphasen sind abgeleitet von der Philosophie einer sich von Schritt zu Schritt inhaltlich vertiefenden Planung. Dabei werden die Planungswerkzeuge in jeder Phase aufwändiger. In der Vorplanung reichen noch Handskizzen aus.
In Zukunft wird schon in der Grundlagenplanung auf digitale Stadtmodelle zugegriffen. Damit die verschiedenen Fachplaner zusammenarbeiten können, wird schon sehr früh ein digitales Modell benötigt, dessen Qualität auch für weiterführende Detaillierung geeignet sein muss und für das gesamte Projekt zur Verfügung steht. Daraus folgt, dass heute gelebte Aufsplitterungen der Planungsphasen auf verschiedene Planer für einen digitalen Zwilling nicht sinnvoll sind.
Der partnerschaftliche Gedanke ist nicht nur Teil der digitalen Welt, sondern auch essentiell bei der Entwicklung. Vieles von dem, was angedacht wird, funktioniert heute technisch noch nicht. Die EDV-Werkzeuge sind für diese große Aufgabe noch nicht geschaffen.
Auch wenn viele in Zukunft in einem Modell arbeiten, ist eine große Vielfalt von EDV-Programmen notwendig. EDV-Programme von einem einzelnen Hersteller, die alle technischen Gewerke, mit gleicher Qualität bearbeiten können, wird es nicht geben. Ein Programm, dessen Schwerpunkt die Bewehrungsplanung ist, wird auch in Zukunft nicht geeignet sein, eine Simulation der Bauphysik durchzuführen.
Es wird auch weiterhin ein großes Spektrum von technischen Lösungen erforderlich sein. Die Notwendigkeit besteht in der Schaffung von Austauschformaten oder Datenformaten, auf die alle Beteiligten und deren fachspezifische Programme zugreifen können. Wünschenswert sind opensource Lösungen, an denen gemeinschaftlich gearbeitet werden kann. Hierin liegt die große Aufgabe öffentlich geförderter Forschung.
Es muss unbedingt verhindert werden, dass die vielen kleinen und mittleren Ingenieurbüros, die mit einer großen Vielfalt und technischen Kompetenz für eine starke und resiliente Wirtschaftsstruktur stehen, durch unreflektierte politische Entscheidungen bedroht werden. Dies kann geschehen, wenn die Kompetenz in der Anwendung von BIM über die fachliche Kompetenz gestellt wird.
Das Bayerische Staatsministerium für Wohnen, Bauen und
Verkehr hat Ende September gemeinsam mit der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau,
der Bayerischen Architektenkammer, dem bayerischen Bauindustrieverband, dem
bayerischen Baugewerbe und Building Smart das BIM-Cluster Bayern gegründet, um eine
partnerschaftliche Entwicklung der Digitalisierung im Baubereich
voranzubringen.
Ein wichtiger Meilenstein, damit baldmöglichst alle Partner am Bau von der Digitalisierung der Branche profitieren.
Hier können Sie den Artikel herunterladen. Wir bedanken uns bei der Bayerischen Staatszeitung, in deren Ausgabe vom 30. November 2018 der Artikel erstmals erscheinen ist.
Fotos: Birgit Gleixner, Pixabay / Pexels.com (3x), PIRO4D / Pixabay.com (2x), Panumas Nikhomkhai / Pixabay.com, Bayerisches Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr
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