29.11.2019 - München
Wohnraum zu schaffen und gleichzeitig Flächenversiegelung zu vermeiden ist eine wichtige gesellschaftspolitische Herausforderung. Mit dem Dachausbau als sinnvolle Möglichkeit der Nachverdichtung beschäftigen sich Kammerpräsident Prof. Dr. Norbert Gebbeken und Vorstandsmitglied Dipl.-Ing.(FH) Klaus-Jürgen Edelhäuser in ihrem Beitrag für die Jahresbeilage „Bauen in Bayern“ der Bayerischen Staatszeitung.
Unser Raumbedarf ist in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen. Dies gilt gleichermaßen für den Wohnungsbau als auch für den gewerblichen Bereich. Um der Flächenversiegelung, die unweigerlich in diesem Zusammenhang ebenfalls in einem sehr umfangreichen Rahmen stattfand und noch immer standfindet, entgegenzuwirken, muss die Nachverdichtung noch mehr in den Fokus rücken. Bislang nicht ausgebauten Dächern kommt hier eine ganz besondere Bedeutung zu, vor allem in den Ballungsräumen.
Bei heutigen Neubauten ist es durchaus Standard, dass Dachräume
nicht mehr die Funktion des klassischen „Speichers“ oder des „Wäschebodens“
erfüllen. In Ballungsgebieten wäre diese Art der Nutzung des Dachraumes auch
schlicht zu teuer. Stattdessen entstehen unterm Dach in der Regel Wohnungen,
die durch ihre Lage und der damit verbundenen Aussicht häufig im hochpreisigen
Bereich liegen.
Das Problem, dass Dachräume im Sommer überhitzt sind und im
Winter nicht ausreichend beheizt werden können, gehört längst der Vergangenheit
an. Der heutige Stand der Technik im Bereich der Baustoffe und der Gebäudetechnik
eliminiert die extremen Klimabedingungen, die wir oft aus dem Altbau kennen.
Auch die barrierefreie Erschließung der Dachräume ist im Neubau ein nicht mehr wegzudenkender Standard. Die Nutzung von Dachräumen für Wohnungen oder auch Büros ist damit im Neubau zur Selbstverständlichkeit geworden.
Doch wie ist die Situation im Bestand? Häufig stehen Dachräume leer und werden nicht ausgebaut. Die Gründe hierfür können sehr vielschichtig sein.
In der Regel wird die Wirtschaftlichkeit solcher Ausbaumaßnahmen von den
Eigentümern kritisch hinterfragt, wenn alle mit einem nachträglichen Ausbau in
Verbindung stehenden Anforderungen definiert und die diesbezüglichen Kosten
bekannt sind.
Von besonderer Relevanz sind häufig die Anforderungen an den Brandschutz,
insbesondere dann, wenn zusätzliche Flucht- und Rettungswege hergestellt werden
müssen. Weitere kritische Punkte können auch der Schallschutz oder die
Tragfähigkeit von Decken- und Dachkonstruktionen sein.
Auch
Schadstoffbelastungen aus Holzschutzmitteln, die in der Vergangenheit
eingesetzt wurden, sind nicht zu unterschätzen. Dies führt häufig dazu, dass
Dachräume dann lieber aus Kostengründen unangetastet bleiben.
Als Ingenieure sind wir es gewohnt, auch für schwierige Situationen
wirtschaftliche Lösungen zu erarbeiten. Dies gilt insbesondere für das Bauen im
Bestand. Der Ausbau von Dachräumen stellt im Rahmen der Nachverdichtung eine
immense Chance dar, die Flächenversiegelung zu begrenzen.
Es ist daher wichtig,
Bedenken und Ängste vor Dachgeschossausbauten auszuräumen. Jeglicher
Unzulänglichkeit im Bestand kann mit einer ingenieurtechnischen Lösung begegnet
werden. Unabhängig davon, ob es sich um das Tragwerk, den Brandschutz, den
Schallschutz oder auch die Barrierefreiheit handelt. Selbst bei
Schadstoffbelastungen kann oftmals mit besonderen technischen Lösungsansätzen
eine Nutzbarkeit der Dachräume gewährleistet werden, ohne dass massive
Eingriffe in die bestehende Konstruktion notwendig werden.
Gerade in Ballungsräumen sollte neben dem Dachausbau auch die Aufstockung als wirtschaftliche Variante der Nachverdichtung in Erwägung gezogen werden. Dass die Wohnraumerweiterung sich optisch ins Straßen- und Stadtbild einfügen muss, ist selbstverständlich. Nach dem Motto „nach oben ist noch Luft“ gibt es hier noch viele, bisher nicht ausgeschöpfte Möglichkeiten.
Auch im historischen Bestand ist der Ausbau von Dachwerken keine
Ausnahme mehr. Bei Baudenkmälern müssen jedoch die Qualitäten der Dachwerke differenziert
betrachtet werden.
Der nachträgliche Dachausbau in „jüngeren“ Baudenkmälern,
beispielsweise in Bauwerken der Jahrhundertwende oder der Nachkriegsmoderne,
ist hier sicher einfacher plan- und umsetzbar als der Ausbau von mittelalterlichen
Dachwerken.
Diese sehr hochwertigen und seltenen historischen Dachwerke machen nur einen sehr geringen Anteil am gesamten Baubestand aus. Bei diesen technikgeschichtlichen Kunstwerken mit interessanten Konstruktionsweisen und Holzverbindungen sollte der Nutzen eines Dachausbaus sehr genau abgewogen werden und im Zweifelsfall unterbleiben.
Bei historischen Dachwerken ist auch die Wartung der Konstruktion und deren Zugänglichkeit von besonderer Bedeutung. Ausbauten sind hier auch aus diesem Grund sehr gründlich abzuwägen. Das Potential der „jüngeren“ Dachwerke, das gerade in Ballungsräumen vorliegt, sollte aber durchaus noch mehr ausgeschöpft werden.
Eine besondere Herausforderung beim Dachausbau, gerade im
historischen Baubestand, stellen bauphysikalisch funktionierende Lösungen dar.
Gerade dann, wenn das historische Dachwerk mit zahlreichen Streben,
Aussteifungsverbänden o.ä. ausgestattet ist, sind die Dämmebenen und die inneren
Abdichtungsebenen oft nur schwer auszuführen. Standardlösungen funktionieren hier
meist nicht.
Den spezialisierten Ingenieuren kommt die Aufgabe zu, kreative
Aufbauten von Dämm- und Abdichtungsebenen zu entwickeln, die sowohl einen hohen
Standard der Energieeffizienz als auch die Schadensfreiheit der Konstruktion
gewährleisten. Schon vor gut sieben Jahren wurde mit Beteiligung der
Bayerischen Ingenieurekammer-Bau der „Energieberater für Baudenkmale“
entwickelt, um genau für solche Herausforderungen entsprechende Fachleute zu qualifizieren.
Es ist eine wichtige Aufgabe, Wohnraum zu schaffen und
gleichzeitig Flächenversiegelung zu vermeiden. Die Nachverdichtung im Bestand ist
mit der Erschließung der nicht ausgebauten Dachräume eine
gesellschaftspolitische Herausforderung.
Es ist eine Aufgabe, die wir als Ingenieure gerne annehmen und mit der wir dazu beitragen, Ressourcen nachhaltig zu nutzen und Eingriffe in Natur und Umwelt so gering wie möglich zu halten.
Prof. Dr. Norbert Gebbeken
Dipl.-Ing.(FH) Klaus-Jürgen Edelhäuser
Hier haben wir Ihnen den Artikel von Prof. Dr. Norbert Gebbeken und Dipl.-Ing.(FH) Klaus-Jürgen Edelhäuser bereitgestellt:
Nach oben ist noch Luft
Norbert Gebbeken, Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau, und Vorstandsmitglied Klaus-Jürgen Edelhäuser über den Dachausbau als Möglichkeit der Nachverdichtung
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(Download mit freundlicher Genehmigung der Bayerischen Staatszeitung)
© Bayerische Staatszeitung, Fotos oben: Klaus-Jürgen Edelhäuser
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