26.06.2020 - München
Der Paukenschlag des HOAI-Urteils durch den EuGH hallt noch immer nach. Mitte Mai hat der BGH die Hoffnung auf eine Klarstellung der Rechtslage nicht erfüllt, sondern erneut den EuGH auf den Plan gerufen. Wie geht es jetzt mit der HOAI weiter? Damit beschäftigt sich Dr.-Ing. Werner Weigl, der 2. Vizepräsident der Kammer, in der Kolumne der Kammer in der Bayerischen Staatszeitung.
Der Paukenschlag, mit dem der Europäische
Gerichtshof (EuGH) vor knapp einem Jahr den Mindestsätzen der Honorarordnung
für Architekten und Ingenieure (HOAI) die Unvereinbarkeit mit der
EU-Dienstleistungsrichtlinie (DLRL) attestiert hatte, hallt noch immer nach.
Ursache dafür ist die unter Juristen heftig umstrittene Frage, ob die DLRL
widersprechendes nationales Recht ohne weiteres verdrängt
(„Anwendungsvorrang“), oder ob die bestehende Unvereinbarkeit erst durch den
Gesetzgeber beseitigt werden muss.
Als Resonanzkörper für den Nachhall dienten über Monate hinweg zunächst die Oberlandesgerichte, die mehrfach gegenläufige Urteile dazu fällten, ob die Honorarbegrenzung durch Mindest- und Höchstsätze noch greift oder bereits hinfällig ist. Die divergierenden Urteile haben früh den Bundesgerichtshof (BGH) erreicht, der jüngst seine ersten Revisionsentscheidungen gefällt hat.
Die Erwartungen der Planer und ihrer Auftraggeber auf eine Klarstellung der Rechtslage hat der BGH indessen nicht erfüllt, sondern den EuGH auf den Plan gerufen und ihm die Frage vorgelegt, ob die DLRL im Rahmen eines laufenden Gerichtsverfahrens zwischen Privatpersonen in der Weise unmittelbare Wirkung entfalte, dass die Mindestsätze nicht mehr anzuwenden sind.
Im Streitfall ging es um den Klassiker einer zu niedrigen Pauschalhonorarvereinbarung, die ein Planer mit seinem Auftraggeber in Höhe von ca. 55.000 Euro geschlossen hatte, während das Mindesthonorar laut Klageforderung bei rund 100.000 Euro lag.
Die offene Frage des Anwendungsvorrangs hat
immense Bedeutung nicht nur für bereits geschlossene Verträge, deren
vereinbarte Vergütung unterhalb der Mindestsätze liegt, sondern wirkt auch auf
aktuell abzuschließende Ingenieur- und Architektenverträge. Denn sollte der
EuGH den Bundesrichtern antworten, dass im Verhältnis privater Vertragsparteien
die DLRL widersprechendes nationales Recht nicht verdrängt, könnten die
Mindest- und Höchstsätze auch heute noch verbindliches Recht sein.
Das hätte
weitreichende Konsequenzen. Es würde ausschließen, bei Vertragsverhandlungen
über einen Abschlag auf die Mindestsätze zu sprechen. Erst recht wären
Ausschreibungen öffentlicher Auftraggeber unzulässig, in denen solche Abschläge
abgefragt werden, wie dies seit einigen Monaten geübte Praxis selbst
staatlicher Vergabestellen ist. Nicht nur drohen Nachforderungen auf das höhere
Mindesthonorar, es sind auch Rügen in Vergabeverfahren nicht auszuschließen,
mit denen Bewerber entsprechende Minderungsoptionen abzuwehren versuchen.
Gegen diese Risiken kann auch nicht eingewandt werden, dass öffentliche Auftraggeber eine andere Rechtsposition als private einnähmen. Schließt die öffentliche Hand privatrechtliche Verträge, ist sie insoweit dem gleichen Recht unterworfen wie eine Privatperson.
Es muss damit gerechnet werden, dass der EuGH
die Vorlagefrage erst in ein bis zwei Jahren beantwortet und die
Oberlandesgerichte bis dahin weiter unterschiedliches Recht sprechen. Für
Bayern hat sich bislang nur das OLG München positioniert und einen
Anwendungsvorrang der Dienstleistungsrichtlinie gegenüber der HOAI
ausgeschlossen. Die Mindest- und Höchstsätze der HOAI hätten aus Sicht des OLG
München damit weiter Bestand; die Mindestsätze dürften nicht unterschritten
werden.
Es steht zu vermuten, dass auch die beiden anderen bayerischen
Oberlandesgerichte in Nürnberg und Bamberg dieser Meinung folgen, denn der BGH
hat, obwohl für die Vorlagefrage nicht von Bedeutung, in einem Nebensatz
angemerkt, genau dieser Ansicht zuneigen zu wollen.
Andererseits hat das oberste Zivilgericht sehr
wohl erkannt, dass die Mindestsätze noch an einer weiteren Achillesferse leiden.
Denn sollte am Ende auch die EU-Richtlinie selbst der HOAI nichts
entgegenzusetzen haben, so gibt es immer noch die Niederlassungsfreiheit als
eine der Grundfreiheiten des EU-Rechts, denen Experten das Potential
zusprechen, nationales Recht aushebeln zu können.
Hierzu hätte sich der EuGH bereits vor einem Jahr äußern können. Der BGH gibt ihm nunmehr Gelegenheit, dies nachzuholen. Das Echo des letztjährigen Paukenschlags schwingt also weiter.
Kolumne
von Dr.-Ing. Werner Weigl, 2. Vizepräsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau, veröffentlicht in der Bayerischen Staatszeitung vom 26.06.2020.
Kolumne in der Bayerischen Staatszeitung
Die Bayerische Ingenieurekammer veröffentlicht einmal im Monat eine Kolumne zu aktuellen Themen in der Bayerischen Staatszeitung. Hier nehmen die Mitglieder des Vorstands der Kammer Stellung zu Themen aus Bauwesen, Politik und Gesellschaft.
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