06.08.2020 - München / Stuttgart
Wie wollen wir zukünftig leben, wohnen und arbeiten? Andreas Hofer, der Intendant der Internationalen Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart, ordnet im Interview mit unserem Vorstandsmitglied Klaus-Jürgen Edelhäuser die IBA‘27 ein und erklärt, welche Fragen das Team rund um die Bauausstellung vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Veränderungen beschäftigen. Lesen Sie hier das in der Zeitschrift Bauen+ erschienene Interview.
Bauen+: Die Internationale Bauausstellung war in der Vergangenheit oft das Merkmal einer neuen Epoche oder einer Wende im Bauwesen. In Stuttgart setzte die Werkbundausstellung 1927 mit der Weißenhofsiedlung deutliche Zeichen des „Neuen Bauens“ und läutet hier mit namhaften Architekten wie Mies van der Rohe, Walter Gropius, Le Corbusier und Hans Scharoun die Industrialisierung des Bauens, neue Bautechniken und neue Wohnformen ein. Nun, hundert Jahre später, gibt es in Stuttgart mit der IBA‘27 eine neue Internationale Bauausstellung. Wird das wieder eine neue Epoche?
Andreas Hofer: Es ist schon auffällig, dass Bauausstellungen in Deutschland häufig in Phasen gesellschaftlicher Umbruchsituationen stattfanden – und das passiert auch jetzt. Meine Vorgänger haben hierfür einmal den Begriff des „präventiven Strukturwandels“ benutzt, um das zu beschreiben, was wir hier tun. Dass wir im Moment gesellschaftlich in einer Umbruchsituation sind, war absehbar und bestätigt sich. Wir möchten uns mit der IBA natürlich mit diesen Themen auseinandersetzen. Durch „Corona“ hat dieser Umbruch in gewisser Weise nun auch eine Beschleunigung erfahren.
Die IBA´27 hat dabei auch viel mit Technologie zu tun. Man hat in der Bauwirtschaft lange über die Digitalisierungsprozesse gesprochen, sie wurden aber eigentlich nie zu einer durchgängigen Kette. Jetzt beginnen diese Prozesse wirklich zu greifen. Bauen ist ja eines der konservativsten Gewerbe mit einem sehr niedrigen Industrialisierungs- und Digitalisierungsanteil. Gerade auch in Stuttgart besteht eine lange Tradition mit Konstruktionen und neuen Materialien – z. B. dem Leichtbau. Auch da, denke ich, kommt im Moment sehr vieles zusammen, das vermutlich schon die gebaute Umwelt verändern und prägen wird.
Bauen+: Der Großraum Stuttgart ist maßgebend von der Automobilindustrie geprägt. Dieser Industriezweig ist aktuell von einem gewissen Umbruch gekennzeichnet. Wird das die IBA‘27 konzeptionell begleiten? Und wenn „ja“, wie fließt das in das Konzept der IBA‘27 ein? Im ersten Anschein hat die Automobilindustrie weniger mit dem Thema „Bau“ zu tun, sehr wohl aber mit Mobilität.
Andreas
Hofer: Das
ist auf jeder Ebene ein sehr heißes Eisen und ich habe mich am Anfang ein
bisschen dagegen gewehrt, dass die IBA jetzt auch noch die Mobilitäts- oder
Verkehrsprobleme lösen soll. Aber Sie haben es auch schon angesprochen:
Mobilität ist natürlich intensiv mit räumlicher Entwicklung verbunden. Was ich
besonders spannend finde, sind die Produktionsstätten. Das sind ja zum Teil
regelrechte Städte. Die Werke haben eine Dimension, die den Raum und den Alltag
der Menschen prägen.
Wenn nun Transformationsprozesse stattfinden, dann hat das räumliche Auswirkungen. Die interessieren uns. Also: Was wird in Zukunft produziert, wie sehen die Fabriken aus? Eines unserer Leitthemen heißt „Produktive Stadt“. Das bezieht sich genau auf solche Fragestellungen. Ein weiterer Aspekt ist dann noch: Welche Auswirkungen haben veränderte Mobilitätsmöglichkeiten auf die Art, wie wir den Raum nutzen, wie wir uns in ihm bewegen?
Wir haben eine funktionierende große Industrie. Das ist eine spezielle Eigenschaft der Region und uns beschäftigt natürlich, wie diese sich in den nächsten Jahren verändert. Die räumlichen Auswirkungen dieser Veränderungen, also der Produktion von Mobilität und der Mobilität selbst, möchten wir mit exemplarischen Bauprojekten begleiten.
Bauen+: Wie sehen Sie ganz generell das Bauen durch die IBA‘27 beeinflusst bzw. beeinflussbar. Es gibt bestimmte Entwicklungen, wie beispielsweise Tiny-Houses, modulares Bauen, 3-D-Druck o. ä. Sehen Sie hier Berührungspunkte mit der IBA‘27? Wie ist der Stellenwert einer IBA bei solchen technischen Entwicklungen?
Andreas Hofer: Eine IBA ist ja
eigentlich ein komischer Zwitter. Sie muss ausbrechen aus dem Alltag und
Zukunftsfragen diskutieren, diese dann aber in der realen Welt konkret baubar
machen. Es ist also nicht Science-Fiction, was wir tun. In diesem Spannungsfeld
bewegt sich eine IBA. Die Hoffnung ist schon, dass diese Schritte über die
gegenwärtige Baupraxis hinaus gehen.
Die von Ihnen angesprochenen Punkte, insbesondere die Tiny-Houses, sind für mich eher der Ausdruck einer Reflexion über Wohnformen und Wohnflächenkonsum, als dass ich da große Zukunft des Bauens sehe. Aber genau diese Fragen – wie wohnen wir – wie bauen wir die Häuser – welche Rolle spielen da vielleicht auch neue Technologien und Materialien? Das sind natürlich Dinge, die uns beschäftigen.
Bauen+: Meinen Sie, dass wir heute vielleicht etwas verwöhnt sind? Also, wenn man sich anschaut, welche Wohnfläche wir pro Kopf beanspruchen – und da sind wir in Deutschland Weltmeister – muss es da einen Wandel geben?
Andreas Hofer: Das ist eine sehr
schwierige und auch vielschichtige Frage. Die Zunahme des Wohnflächenkonsums
hat viel mit gesellschaftlichen Veränderungen zu tun. Stichwort: Zunahme der
kleinen und der Ein- Personen-Haushalte. Wenn man diese veränderte Gesellschaft
im bestehenden Wohnungsbestand unterbringen will, dann führt das zu
Ineffizienzen.
Man könnte auch sagen, wir haben die letzten Jahrzehnte die falschen Wohnungen gebaut. Und dann hat es natürlich auch eine Konsumkomponente, also Wohnfläche wächst mit Wohlstand. Damit muss man sich auseinandersetzen, da Wohnfläche direkt korreliert mit Energieverbrauch, mit Kosten, auch mit grauer Energie. Da stellt sich durchaus die Suffizienz-Frage.
Bauen+: Daran anknüpfend eine Frage, die nun vielleicht etwas überflüssig erscheint: Welchen Stellenwert haben ökologische Aspekte und Biodiversität bei der IBA‘27? Vermutlich einen sehr hohen?
Andreas Hofer: Wir müssen uns ja mit dem Jahr 2027 auseinandersetzen und mit dem, was dann Zukunft ist. Wir diskutieren „Next Practice“ statt „Best Practice“. Die Häuser, die wir jetzt bauen, sollen ja Jahrzehnte überdauern. Und wenn ich mir vorstelle, ich blicke aus der Perspektive 2037 oder 2050 zurück auf 2027, dann stellt sich die Frage nach den ökologischen Aspekten eigentlich gar nicht. Wir werden dann keine fossilen Brennstoffe mehr zur Verfügung haben, wir werden in völlig geschlossenen Stoffkreisläufen unterwegs sein, wir werden vermutlich in Städten im Klimawandel leben. Das heißt, die Dinge, die heute noch relativ verrückt klingen, die sind eigentlich für die Häuser, die wir jetzt bauen, schon fast imperativ.
Bauen+: Ich greife den Imperativ auf: Wenn Sie sagen, dass die Dinge, die heute verrückt klingen, eigentlich der „Imperativ“ für die Häuser sind, die wir heute bauen müssten. Meinen Sie, die Menschen begreifen das?
Andreas Hofer: Ich glaube, die Menschen begreifen das als Herausforderung in ihren alltäglichen Welten. Sie sind natürlich nicht die Fachleute, um dann den Schritt zur gebauten Umwelt zu tun. Das ist eine Verpflichtung der Berufsleute und einer IBA, genau das zu erklären. Man könnte auch vom „neuen Normal“ sprechen, das etwas völlig anderes ist als das, was wir heute als „normal“ empfinden.
Bauen+: Die IBA und die Beteiligten der IBA als „Pädagogen“ für unsere Konsumgesellschaft?
Andreas Hofer: Ja. Wobei „pädagogisch“ immer so einen Ansatz von „besserwisserisch“ beinhaltet. Es hat viel mit Kommunikation und Dialog zu tun. Das ist dann diese Ambivalenz, die auch schon die Moderne in den 20er-Jahren hatte. Wir erklären euch jetzt, wie ihr wohnen müsst. Es ist eine heikle Geschichte, wie besserwisserisch die Architekten den Menschen gegenüber auftreten. Aber wir müssen etwas tun. Die Umwelt wartet nicht darauf, bis wir begriffen haben, was wir da gerade anrichten.
Bauen+: Ganz aktuell hat die Corona-Pandemie unser Leben sehr stark beeinflusst. Wir waren durch den Appell „Zuhause bleiben“ in unserer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Gerade in den Ballungsräumen haben die Menschen besonders darunter gelitten, „eingesperrt“ zu sein und nicht ins Grüne zu können. Sehen Sie in diesem Zusammenhang besondere Herausforderungen für das „neue Wohnen“ oder für neue Wohnformen bzw. ist das vielleicht eine Dimension, die man tatsächlich noch nicht in dieser Art vor Augen hatte, die uns aber jederzeit wieder ereilen kann?
Andreas Hofer: Da möchte ich zwei Sachen dazu sagen. Einerseits gibt es jetzt schon erste Stimmen die sagen „Oh… böse Stadtdichte…“. Das ist ein Diskurs, den wir seit 100 Jahren kennen – nein, seit 4000 Jahren: Sodom und Gomorra – die Stadt, der Sündenpfuhl. Das finde ich extrem ideologisch und vermutlich auch völlig falsch. Der zweite Aspekt ist, dass wir eigentlich jetzt erleben, wie so eine Krise soziale Unterschiede sichtbar macht. Die Familie mit drei Kindern in der kleinen Dreizimmerwohnung ohne Balkon – die leidet. Das Hipster-Pärchen mit der Jugendstil-Wohnung und der großen Dachterrasse weniger. Ich glaube, das hat nichts mit Stadt als Lebensform zu tun. Natürlich bricht eine Epidemie in der Stadt aus. Die Stadt hat ja die Funktion, sich auszutauschen und sich zu begegnen.
Ich glaube, wir erkennen jetzt die Bedeutung des Zwischenraums. Eben z. B. die Verbindung in den städtischen Rahmen, also Balkone, Terrassen, solche Dinge, aber auch die Gemeinschaftsräume, die Erdgeschosse, die flexibel beispielsweise für Nachbarschaftshilfe genutzt werden können. Meine These ist, dass es eher in die Richtung Gemeinschaftlichkeit geht. Wir können es uns gar nicht leisten, dass jetzt jeder noch zwei Zimmer dazu nimmt, für den Fall, dass er mal wieder im Homeoffice arbeiten muss. Wir können es uns ebenso nicht leisten, dass nun wieder jeder mit dem Auto fährt, weil er Angst vor dem öffentlichen Verkehr hat. Ich sehe es eigentlich eher in die umgekehrte Richtung.
Bauen+: Anknüpfend an die vorangegangene Frage: Sind Ballungsräume überhaupt noch en vogue oder ist der ländliche Raum vielleicht attraktiver? Wo und wie werden wir in Zukunft Ihrer Meinung nach lieber wohnen?
Andreas Hofer: Man fällt ja gerne
immer wieder in die Romantik des Landes und der weiten Natur zurück. Aber die
meisten Menschen werden nicht gefragt, wo sie lieber wohnen möchten, sondern
sie reagieren – gerade in der angespannten Wohnungssituation, die wir im Moment
haben – auf ökonomische Opportunitäten und greifen sich dann eben das, was für
sie möglich ist.
Ich würde es auch nicht als „Entweder-oder“ bezeichnen. Es
werden weiterhin Menschen auf dem Land leben. Ich sehe aber keinen Trend aufs
Land. Auch international nimmt die Stadtbevölkerung zu. Gerade hier in
Stuttgart sind die Grenzen zwischen Stadt und Land auch vielschichtig und
häufig verwischt, das ist eben der Ballungsraum, die Agglomeration. In der
Stadtregion, in der ich sehr ländliche Ecken habe und auch sehr urbane, gelingt
es vielleicht, so etwas wie eine Identität der Region zu produzieren, die dann
eben wirklich sehr in die Richtung Wahlfreiheit geht, auch in den Lebensphasen.
Ich sehe ganz viele junge Familien, die beim dritten Kind dann sagen, jetzt wird mir die Wohnung in der Stadt zu klein und zu teuer. Sie ziehen dann aufs Land. Das Land – wenn wir vom richtigen Land, von der Peripherie sprechen – birgt dann aber auch seine Schwierigkeiten. Beispielsweise was die Versorgung mit Internet oder mit sozialen Netzwerken betrifft. Dort habe ich – wenn wir von der Pandemie reden – niemanden, der mir hilft, der mir das Essen bringt, und ich kann nicht so leicht soziale und nachbarschaftliche Netzwerke aufbauen. Ich persönlich komme aus einem ländlichen Raum. Ich habe diese Großfamilie noch erlebt, die über drei Generationen und mit 20 Leuten am Küchentisch saß. Das ist heute nicht mehr so.
Bauen+: Auch unsere Arbeitswelt hat sich in den letzten Monaten durch die Corona Pandemie spontan verändert. Viele haben festgestellt, dass beispielsweise Telearbeit eine hervorragende Alternative zum Büro ist – Wohnen und Arbeiten ist plötzlich zusammengewachsen. Glauben Sie, dass sich unser Wohnen diesbezüglich verändern wird? Haben Sie generell mit einer solchen Entwicklung – wenn auch nicht in dieser Geschwindigkeit – gerechnet?
Andreas Hofer: Wir hatten das wirklich schon im Kopf. Das war eine unserer Thesen bei der IBA. Jetzt wieder mit dieser langen Perspektive würde ich sagen: In einem Zeitraum von 20 Jahren gibt es die Trennung in Wohnen und Arbeiten nicht mehr, so wie wir sie jetzt kennen.
Bauen+: Die Arbeit zieht ins Wohnzimmer ein, jetzt mal ganz lapidar gesagt?
Andreas Hofer: Genau. Ich schlafe in
der Fabrik und produziere in der Wohnung. Das wird sich nicht für alle Dinge
gleich schnell und gleich grundlegend verändern. Aber auch da ist sicher das
Stichwort: Es gibt keine eindeutige Lösung mehr. Unser Leben wird fluider sein,
wir werden vielleicht zwei Tage in einem Co-Working-Space in der benachbarten
S-Bahn-Station gehen und einen Tag quer durch die Region ins Stammwerk.
Und dann stellt sich natürlich noch die grundsätzliche Frage, was wir denn überhaupt noch herstellen in unserer Gesellschaft. Das könnte dann im positiven Fall so etwas in die Richtung einer postindustriellen Gesellschaft mit sinkender Arbeitszeit und viel Sozialzeit und Freizeit gehen.
Bauen+: Postindustrielle Gesellschaft ist ein interessanter Aspekt. Gibt es dann aber nicht unter Umständen eine weitere Aufteilung in eine Klassengesellschaft? Die einen, die in Co-Working-Spaces arbeiten können, die eben die klassischen Büroarbeiten machen und die anderen, die in eine Fabrik gehen müssen, denn eine Produktion wird ja immer noch stattfinden. Oder ist das jetzt übertrieben, wenn man das so denkt?
Andreas Hofer: Nein, da gibt es ganz viele Gefahren und Herausforderungen. Es könnte auch eine Spaltung geben in eine überhaupt noch in das Wirtschaftssystem eingebundene Elite und dem Prekariat, das quasi auf Hartz-IV-Niveau leben muss. Aber wir sind ja eine demokratische, kluge und reiche Gesellschaft, die hoffentlich die notwendigen Mittel und Strategien finden wird, damit sie nicht völlig als Gesellschaft auseinanderfällt, sondern für alle eher einen Lebensqualitätszuwachs produzieren wird.
Also, die IBA leistet sich so eine fröhliche Zukunftsfreude.
Bauen+: Aus Ihrem Büro in Zürich – sozusagen Ihrer Heimat – stammt der Satz: „Für uns ist Stadt ein Lebensraum, den Bedürfnisse, politische Forderungen, wirtschaftliche Prozesse und kulturelle Bilder ständig verändern.“ Wie schaffen Sie es, die Bedürfnisse der Menschen zu erfassen und in dem Veränderungsprozess mit zu berücksichtigen?
Andreas Hofer: Ja,
der Hintergrund ist natürlich auch wieder: Wenn wir auf 1927 zurückschauen – da
gab es noch diese genialen Architekten, die gemeint haben, sie schaffen für das
einfache Volk die Stadt der Zukunft. Das geht heute so nicht mehr. Wir befinden
uns in einem Dialog, wir tauschen uns aus. Ich bin ein überzeugter Demokrat,
der glaubt, dass die Stadt quasi das gebaute Bild einer Gesellschaft ist, und
eine demokratische Gesellschaft muss über die Form dieses Raumes verhandeln.
Konkret ist die IBA auch ein partizipatives Projekt. Das hat sich extrem
bewährt. Wir haben das gar nicht in diesem Maße erwartet – dass sich bei uns so
viele Menschen in Arbeitsgruppen auf so etwas wie einer IBA-Meta-Ebene mit
diesen Zukunftsfragen auseinandersetzen. Diese IBA macht also offenbar auch
Lust, über die Zukunft nachzudenken.
Das unterscheidet sich von den oft eher etwas mühsamen etablierten Beteiligungsformaten, die ich häufig feststelle: Man hat ein Bauprojekt, dann macht man einen Beteiligungsprozess, dann kommen vor allem die Leute aus der Nachbarschaft, die lieber nicht möchten, dass sich da irgendetwas verändert. Dann holt man alle diese Bedenken und Zweifel ab und schleift die Projekte in eine harmlose Mittelmäßigkeit herunter. Wir versuchen das Umgekehrte: Lust an der Veränderung, Lust an der Gestaltung und es gelingt uns nicht so schlecht, die zu wecken. Ich hoffe, dass wir die auch in die Projekte tragen können.
Partizipation sehen wir eben nicht als „Wie würde mein Traumhaus aussehen“ und auch nicht als Summe der möglichen Bedenken, der Veränderungsangst. Partizipation als gestalterische Kraft. Generative Partizipation ist ein Wort, mit dem wir uns beschäftigen. Wie können wir die Gestaltungskräfte entfesseln? Da suchen wir Formate, experimentieren wir, suchen auch die Zusammenarbeit mit Kunst, mit anderen Ausdrucksformen, die vielleicht ein bisschen spielerischer sind als die schwere Immobilie.
Bauen+: Unter dem Motto „Wissen-schaft-Stadt“ findet seit März 2013 bis 2022 in Heidelberg die IBA statt. Hier sollen modellhafte Lösungen für die Stadt der Zukunft aufgezeigt werden. Wenn man im Internet stöbert, findet man zahlreiche weitere IBAs. Was ist das Besondere an der IBA‘27?
Andreas Hofer: Ich glaube, die
IBA-Inflation hat etwas mit dem Bedürfnis an ganz vielen Orten zu tun, die Grenzen
der etablierten Planungspraxis, das sehr Konservative aufzubrechen. Und da ist
IBA vielleicht dann ein Ventil, auf das man kommt – IBA wird ja auch
Ausnahmezustand auf Zeit genannt. Man sucht einen Raum, der nicht schon
tausendfach überdefiniert ist und in dem man gewisse Freiheiten hat.
Als IBA´27
in der Region Stuttgart stehen wir vor dem Hintergrund des Weißenhofs und auch
vor dem Hintergrund der beeindruckenden Stuttgarter Ingenieurstradition und
Architekturgeschichte. Da versuchen wir natürlich schon, nicht nur Ventil zu
sein, sondern wirklich auch spektakulär und prägend. Wir nehmen die drei
Buchstaben sehr ernst: International relevant und zwar in beide Richtungen. Wir
möchten die Welt hierherholen, um die Planung hier in der Region im Diskurs zu
befruchten, und wir möchten so attraktiv sein, dass die Welt auf uns schaut.
Das sind alles hehre Ansprüche. Noch nicht eingelöst, aber das muss unser
Anspruch sein. Wir möchten bauen. Manche IBAs schaffen diesen Sprung zu wenig.
Und wir möchten am Schluss eine attraktive, physisch besuchbare Ausstellung
sein, die mit gebauten Beispielen einen relevanten Beitrag zur Diskussion
leistet.
Wir sind dafür gut aufgestellt, wir sind autonom, wir sind eine eigene GmbH mit jetzt 20 Leuten. Da sind wir im Verhältnis zu anderen IBAs sehr gut ausgestattet. Wir haben also zumindest mal den institutionellen Rahmen, um diesen Anspruch stellen zu können und ihn vielleicht auch einzulösen.
Bauen+: Dann ist die IBA tatsächlich schon was Besonderes in Stuttgart im Vergleich zu den anderen?
Andreas Hofer: Wir IBA-Macher kennen uns natürlich untereinander. Es gibt ein Netzwerk. Wir tauschen uns aus. Wir wollen aber natürlich schon ein bisschen Wettbewerb. Wir in der Region Stuttgart möchten zeigen, dass das IBA-Format auch wieder diese Bedeutung haben kann, wie eine IBA auf dem Weißenhof. Gerade vor den gesellschaftlichen und technologischen Umbrüchen, die wir im Moment erleben – beschleunigt durch die Corona-Geschichte.
Bauen+: Abschließend will ich die vorangegangene Frage nochmals aufgreifen. Ist die IBA inflationär? Brauchen wir weitere IBAs? Bringen uns diese noch voran, oder müsste das Modell „IBA“ vielleicht einmal überdacht werden? Sie haben sehr schön dieses Ventil zitiert, das die IBA sein kann – spektakulär und prägend zu sein.
Andreas Hofer: Mein Zwischenfazit im
Moment ist, dass es vermutlich mehr Ventile braucht. Bis hin zur Gesetzgebung.
Die Überregulation, die wir haben, ist ein Jammer. Das Land hat sich in ein
Korsett der Ängstlichkeit begeben, ein Korsett der doppelten Absicherung. Damit
kannst du viele Probleme, die sich heute stellen, einfach nicht mehr lösen.
Ich
würde empfehlen, dass man sich ernsthaft darüber Gedanken macht, wie eine
Baugesetzgebung und wie Bauprozesse gestaltet werden können, dass sie wieder
mehr Lust machen, schneller funktionieren. Ich meine das jetzt nicht in einem
plumpen Liberalismus, aber wir müssen uns schon fragen, wo der sehr enge Rahmen
gute Dinge verhindert, die für Gesellschaft und die Städte notwendig wären.
Wenn es mehr Ventile, andere Formate der Öffnung, des Ausprobierens gäbe, dann könnte vielleicht die IBA als solche wieder stärker wirklich zu einem Monument werden, das echte Paradigmenwechsel anstößt und ganz neue Dinge exemplarisch demonstriert an einem bestimmten Ort für eine bestimmte Zeit.
Bauen+: Aber IBA dann wieder konzentriert auf eine Stadt oder eben eher auf eine Stadt-Region?
Andreas Hofer: Das ist eine sehr schwierige Frage. Meine Aufgabe ist ja eigentlich unmöglich: In einem Raum mit 179 Kommunen und 2,8 Mio. Menschen eine Ausstellung zu veranstalten, die eine Sichtbarkeit hat, das ist ja eigentlich völliger Wahnsinn. Gleichzeitig ist es aber auch richtig. 60 Wohnungen auf dem Weißenhof von 15 berühmten Architekten – das macht heute keinen Sinn mehr. Wir müssen uns mit den regionalen und mit den strukturellen Fragen des Wohnens, des Arbeitens, der räumlichen Gliederung auseinandersetzen. Und dann landest du bei der Region.
Man muss aber schon aufpassen, dass die IBA nicht zu einem Planungsinstrument wird. Die IBA soll das Exemplarische, das Experimentelle, auch das Freie, das zeitlich Begrenzte behalten.
Bauen+: Vielen Dank für
das interessante Gespräch!
Andreas Hofer studierte Architektur an der ETH Zürich. Er ist seit Anfang 2018 Intendant der Internationalen Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart (IBA’27). In Zürich war er Partner im Planungs- und Architekturbüro Archipel und engagierte sich für den genossenschaftlichen Wohnungsbau bei der Verbandsarbeit und als Berater. Aus dieser Tätigkeit entstanden die Genossenschaften Kraftwerk1 und „mehr als wohnen“. Andreas Hofer publiziert regelmäßig in verschiedenen Medien zu Architektur-, Städtebau- und Wohnungsfragen, begleitet Wohnbauprojekte als Jurymitglied in Wettbewerben und engagiert sich in der Lehre an Hochschulen.
Das Interview führte Dipl.-Ing.(FH) Klaus-Jürgen Edelhäuser. Edelhäuser ist Mitglied im
Vorstand der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau und schreibt als Redakteur für die Zeitschrift
Bauen+.
Das Interview mit Andreas Hofer ist in Heft 4 (Juli) 2020 der Bauen+ erschienen.
Wir bedanken uns bei Bauen+ für die freundliche Genehmigung des Abdruckes.
Quelle; Bauen+ 04/2020, S. 28-31; © Foto: IBA 2027/Sven Weber
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