04.09.2020 - Berlin
Vor Corona stand der Klimaschutz ganz oben auf der politischen Agenda. Im Interview erläutert Dr. Hannes Zapf, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau e.V. (DGfM), warum im Wohnungsbau die Gebäudenutzung gegenwärtig der größte CO2-Treiber ist, warum neben einer bauphysikalisch sinnvollen Dämmung die Wärmespeicherung von Gebäuden immer wichtiger wird und wie durch eine deutlich verbesserte Kreislaufwirtschaft das energie- und ressourceneffiziente Bauen weiter vorangebracht werden kann.
Herr Dr. Zapf, die Mauerwerksindustrie ist zwar nicht so energie- und emissionsintensiv wie die Stahl- und Betonfertigteilerzeugung, muss aber ebenso CO2 einsparen. Wann wird eine klimaneutrale Produktion erreicht sein?
Dr. Hannes Zapf: Das im Dezember 2019 in Kraft getretene Klimaschutzgesetz verpflichtet
alle Marktakteure zur CO2-neutralen Produktion ihrer Produkte
respektive Baustoffe bis zum Jahr 2050. Insofern wird in spätestens 30 Jahren
eine klimaneutrale Produktion mineralischer Baustoffe erreicht sein. Ich bin
sogar sehr zuversichtlich, dass Mauerwerk deutlich früher grün produziert
wird.
Viele
unserer 200 Mauersteinhersteller decken ihren für den Herstellungsprozess
benötigten Energiebedarf bereits heute anteilig aus Solar-, Wind- und
Wasserkraft. Andere produzieren auf ehemaligen Abbaustätten oder dem eigenen
Werksgelände Solarstrom. In meinen Unternehmen erzeugen wir den Wasserdampf, den wir
zur Herstellung unserer Kalksandsteine benötigen, ausschließlich mit Erdgas.
Wir könnten die Emissionen noch weiter senken, wenn wir den Gasen grünen Wasserstoff beimengen könnten. Bislang war dies aufgrund unzureichender Kapazitäten und fehlender gesetzlicher Rahmenbedingen noch keine Option. Da in grünem Wasserstoff großes Potenzial für energieintensive Branchen liegt, begrüßen wir die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung außerordentlich.
An welchen weiteren Hebeln kann angesetzt werden, um den CO2-Ausstoß bei der Herstellung von Mauersteinen zu minimieren?
Dr. Hannes Zapf: In der Modernisierung und Erneuerung der
Anlagentechnik liegt der Schlüssel zu energie- und ressourceneffizienten
Produktionsprozessen. Großes Einsparpotenzial bietet die Rückgewinnung von Umluftwärme sowie
die mehrfache Nutzung von Abwärme. Einige unserer
Mitgliedsunternehmen haben auch bereits bewiesen, dass sich Schadstoffemissionen mit
modernster Abgasreinigungstechnik um bis zu 99 Prozent reduzieren lassen.
Pro Anlage ist dies mit Investitionen in Millionenhöhe verbunden, die besonders kleine und mittelständische Unternehmen an ihre finanziellen Grenzen bringen. Ohne staatliche Förderung können Investitionen in dieser Größenordnung von der mittelständisch geprägten Mauersteinindustrie kurzfristig nicht finanziert werden, um schneller mit dem CO2-Sparen voranzukommen. Hier braucht es eine bessere und faire Unterstützung durch Förderprogramme der Bundesregierung auch für die Mauersteinindustrie, mit deren Steinen über 70 Prozent des Wohnungsneubaus derzeit in Deutschland errichtet werden.
Sie kritisieren, dass das Thema Nachhaltigkeit oft auf den CO2-Ausstoß in der Herstellungsphase reduziert wird. Entstehen in der Produktion nicht die meisten klimaschädlichen Emissionen?
Dr. Hannes Zapf: Eben
nicht. Die Erstellungsphase beeinflusst die Ökobilanz eines Gebäudes nach
vorliegenden Studien nur zu rund 20 Prozent. Der gegenwärtige CO2-Treiber
im gesamten Lebenszyklus eines Wohngebäudes ist der Strom- und
Heizenergiebedarf während der Nutzungsphase. Das wird sich erst ändern, wenn
der Gebäudeenergiebedarf ausschließlich aus erneuerbaren Energien gedeckt wird.
Hier hat die Bundesregierung mit dem Klimaschutzgesetz und dem Kohleausstieg
die richtigen Weichen gestellt.
Wenn wir den CO2-Ausstoß senken
wollen, müssen wir, bis der komplette Umstieg auf erneuerbare Energien erfolgt
ist, dafür sorgen, dass die Gebäude möglichst wenig Energie benötigen. Dabei kommt den Eigenschaften der verwendeten
Baukonstruktionen eine entscheidende Rolle zu.
Durch die hohe thermische
Speichermasse können Wandkonstruktionen aus Mauerwerk die Wärme der
einstrahlenden Sonne aufnehmen und
praktisch zeitversetzt an den Innenraum wieder abgeben. Diese Eigenschaft sorgt
dafür, dass z.B. ein Mehrfamilienhaus mit 12 Wohnungseinheiten aus Mauerwerk
einen bis zu 17 Prozent geringeren Heizenergiebedarf hat als ein vergleichbares
Wohngebäude, das nur in leichteren Bauweisen errichtet wurde, wie z. B. bei
Fertighäusern aus Holzständerkonstruktionen. Über einen realen Gebäudelebenszyklus
von 80 Jahren führt diese Energieeinsparung zu einer CO2-Reduktion von
bis zu 11 Tonnen.
Wird der Heizenergiebedarf angesichts des Klimawandels mit steigenden Durchschnittstemperaturen nicht ohnehin sinken?
Dr. Hannes Zapf: Das ist sehr wahrscheinlich. Wenn wir uns den letzten Sommer mit
Temperaturen bis zu 40 Grad anschauen, wissen wir, dass der Klimawandel längst
in Deutschland angekommen ist. Mit
der Konsequenz, dass es immer längere Hitzeperioden und immer höhere
Spitzentemperaturen gibt und daher immer mehr Klimaanlagen zum Einsatz kommen. Die
sorgen zwar für ein wohltemperiertes Raumklima, verschlechtern aufgrund ihres
hohen Energieverbrauchs aber das globale Klima.
Viel sinnvoller wäre hingegen,
an den Ursachen der Überhitzung anzusetzen, statt ihre Symptome zu lindern.
Immer mehr Architekten und Planer fordern bereits ein Umdenken: weg von der
hochdimensionierten Dämmung leichter Baukonstruktionen und hin zu mehr Ausnutzung
der Wärmespeicherwirkung massiver Wände. Auch hier kann Mauerwerk die Lösung
sein. Denn die Wärmespeicherfähigkeit wirkt nicht nur in den Übergangsperioden
hinsichtlich weniger Heizenergie – im Sommer sorgt sie dafür, dass die massiven Wände die hohen
Temperaturen aufnehmen und erst in den kühleren Nachtstunden zeitversetzt
wieder an den Innenraum abgeben.
Diesen Effekt nutzen seit Jahrhunderten die
Südländer Europas mit ihren massiven Steinhäusern in ihren längeren
sommerlichen Hitzeperioden. Auch Süddeutschland erlebt bereits jetzt längere
Hitzeperioden, für die Steinhäuser eindeutig Vorteile haben. Nur in den
kühleren Klimazonen Nordeuropas und Nordamerikas wird mehr mit Holz als mit
Stein gebaut.
Dass Sie als Vorsitzender der DGfM die ökologischen Vorzüge von Mauerwerk betonen, ist verständlich. In Teilen der Öffentlichkeit herrscht allerdings die Meinung, dass Holz die nachhaltigste Bauweise ist?
Dr.
Hannes Zapf: Für eine Holzverwendung sprechen zwei herausragende
Eigenschaften, die kein anderer Baustoff bietet: die Bäume können in der
Wachstumsphase CO2 speichern und sie sind
ein nachwachsender Rohstoff. Wie alle anderen Baustoffe hat Holz aber auch spezifische
Nachteile. Unbestritten ist, dass Holz am Ende des Lebenszyklus das vom Baum in
der Wachstumsphase gebundene CO2 wieder vollständig an die Atmosphäre
abgibt. Es speichert das CO2 also nur auf Zeit.
Was oft nicht mit
betrachtet wird, ist der Fakt, dass bei der Verarbeitung des Baumes zu einer
Tonne Bauholz ein eigener CO2-Fußabdruck entsteht, der etwa so groß
wie bei der Herstellung einer Tonne Mauerwerk ist – bei Bauplatten aus
Schichtholz sogar deutlich größer ist. Außerdem denke ich hier an ökonomische
und bautechnische Eigenschaften, wie z.B.
den Schall-, Wärme- und Brandschutz, den Kostenfaktor und die
Nutzungsdauer. Zusätzlich muss auf den aktuell sehr hohen Anteil der
Holzrahmenkonstruktionen im Holzbau und den damit verbundenen Fakt hingewiesen
werden, dass der reine Holzanteil in diesen Konstruktionen auch nur bei 20 Prozent
liegen kann. 80 Prozent sind dann Dämmstoffe, Folien, Wandplatten ohne
Holzanteile sowie Verbindungsmittel – die aus klimapolitischer Sicht nie
gefördert werden dürften. Das muss allen bewusst sein.
Daher plädiere ich, wie die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) auch, für eine Betrachtung des gesamten Lebenszyklusses von Gebäuden. Wenn man alle ökologischen, ökonomischen und soziokulturellen Eigenschaften objektiv betrachtet, steht der Mauerwerksbau dem Holzbau in Sachen Nachhaltigkeit in nichts nach. Das gilt insbesondere, wenn man die Nachhaltigkeit der Gebäude über einen realen Lebenszyklus von mehr als 50 Jahren sowie inklusive Rückbau, Recycling, Wiederwendung und Berücksichtigung der finalen thermischen Entsorgung von Altholz abbildet.
Nahezu jedes Bundesland startet jetzt eine Holzbau-Initiative. Fühlt sich die Mauerwerksbranche benachteiligt?
Dr. Hannes Zapf: Wenn eine Bauweise politisch massiv unterstützt
wird, ist das natürlich ein Eingriff in den Markt, der den Wettbewerb verzerrt.
Wir fordern deshalb von Bund und Ländern eine technologieoffene Gleichbehandlung
aller Bauweisen in der Baupolitik.
Für manche Projekte mag Holz die richtige
Wahl sein, für andere Mauerwerk oder Beton. Die Entscheidung sollte allerdings den
Fachleuten, sprich Architekten und Bauherren überlassen bleiben und nicht per
Dekret verordnet werden. Nichtsdestotrotz sind alle Bauweisen wichtig, um das
Problem des fehlenden Wohnraums überhaupt lösen zu können. Auch wenn der Anteil
von Mauerwerk im Wohnungsbau bei 72 Prozent liegt, ist dies eine Aufgabe, die
wir mit Blick in die Zukunft nur gemeinsam bewältigen können.
Am Beispiel der Fachwerkhäuser,
die in Deutschland ganze Regionen prägen, zeigt sich, wie gut sich
unterschiedliche Baustoffe ergänzen können. Diesen keineswegs neuen Ansatz
sollten wir beibehalten und in die Moderne führen. Denn die Hybridbauweise
eröffnet die Chance, Baustoffe so zu kombinieren, dass sich Stärken und
Schwächen optimal ausgleichen.
In jedem Fall sind wir strikt für Technologieoffenheit und gegen die Einführung staatlich sanktionierter Quoten für Baustoffe oder Bauweisen. Gemeinsam mit 28 Organisationen und Verbänden der deutschen Bauwirtschaft haben wir uns zur Aktion Nachhaltiger Massivbau zusammengeschlossen und ein entsprechendes Positionspapier an die Politik formuliert.
Wie steht die Mauerwerksbranche zum
Cradle-to-Cradle-Ansatz?
Dr. Hannes Zapf: Wir müssen weg von der Wegwerfgesellschaft und hin zur Kreislaufwirtschaft. Da führt kein Weg dran vorbei. Obwohl Mauerwerk bereits heute zu 94 Prozent wiederverwertet wird und im Vergleich zu anderen Baustoffen eine sehr hohe Recyclingquote erreicht, gibt es noch viel Optimierungspotenzial. Unser langfristiges Ziel ist es, die komplette Rückbaufähigkeit von Gebäuden zu erreichen, sodass in Zukunft alle Rohbaustoffe sowie ganze Bauteile wieder- und weiterverwendet werden können. Dazu müssen alle verfahrenstechnischen und konstruktiven Möglichkeiten aufeinander abgestimmt und weiter vorangetrieben werden.
In meinem Unternehmen beschäftigen wir uns z.B. sehr intensiv mit dem Thema Funktionstrennung. Konkret bedeutet dies, dass die Außenwandkonstruktionen aus mehreren Bauteilschichten bestehen. Die Wand aus Mauersteinen bildet die tragende Schicht, die durch weitere Bauteilschichten komplettiert wird. Die zukünftigen Entwicklungen sind darauf ausgerichtet, dass sich beim Rückbau die Schichten wieder sauber voneinander trennen lassen und somit problemlos wiederverwendet bzw. sortenrein recycelt werden können. Von meinen Kollegen aus den anderen Steingattungen weiß ich, dass sie an ähnlichen Lösungen für eine noch bessere Wiederverwertung in der Mauerstein-Neuproduktion arbeiten. Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung Kreislaufwirtschaft, der Mauersteine zu Cradle-to-Cradle-Produkten machen kann.
Dr. Hannes Zapf ist Gesellschafter der auf Kalksandstein spezialisierten Zapf Daigfuss-Gruppe, Schwaig b. Nürnberg und ehrenamtlicher Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau e.V. (DGfM),
Quelle: DGfM; © Fotos: Designed by Freepik; DGfM
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