12.02.2021 - Stuttgart
Um die Einschränkungen bisheriger Bauweisen aus Stahl zu überwinden, hat ein interdisziplinäres Forschungsteam der Universität Stuttgart und der Deutschen Institute für Textil- und Faserforschung einen neuen Tragwerksknoten und das entsprechende Herstellungsverfahren entwickelt. Das Verbundbauteil besteht aus einer Hülle aus Faserverbundkunststoff und einem Kern aus Beton.
Architektonische Bauten mit einem Tragwerk aus verzweigten Stützen zeichnen sich durch offene, weite und lichte Räume aus. Dieser Effekt wird vor allem für repräsentative Gebäude wie beispielsweise Säle, Hallen und Aulen genutzt. Darüber hinaus sind auch Brückenbauten möglich, wo schlanke verzweigte Tragelemente ästhetisch wirkende und ressourcenschonende Konstruktionen erlauben, die sehr effektiv im Lastabtrag sind. Die technische Herausforderung bei verzweigten Tragkonstruktionen ist das Verbindungsbauteil – der Tragwerksknoten – zwischen den geraden Stäben, welcher komplexen Kräften ausgesetzt ist.
Um die Einschränkungen bisheriger Bauweisen aus Stahl zu überwinden, hat ein interdisziplinäres Forschungsteam der Universität Stuttgart (ITKE und ITFT) und der Deutschen Institute für Textil- und Faserforschung (DITF) einen neuen Tragwerksknoten sowie das entsprechende Herstellungsverfahren entwickelt. Es handelt sich um ein Verbundbauteil mit einer Hülle aus Faserverbundkunststoff (FVK) und einem Kern aus Beton. Die Entwicklung entstand innerhalb des von der DFG geförderten TRR-141 „Biologisches Design und integrierte Strukturen“ in Kooperation mit der Universität Freiburg.
Technische Fasern wie beispielsweise Carbonfasern bieten hervorragende
mechanische Eigenschaften. Um diese optimal auszunutzen, bedürfen die Fasern
jedoch einer präzisen Ausrichtung und Anordnung im Bauteil.
Durch ein weiterentwickeltes Flechtverfahren, welches zur Herstellung des Textils für die FKV-Hülle verwendet wird, kann diese Ausrichtung technisch umgesetzt werden. Im Falle des verzweigten Knotenelements wird zunächst eine Hülle aus Carbonfasern geflochten und diese zu einem Verbundbauteil konsolidiert. Die FVK-Hülle dient als Gussform, in welche im zweiten Schritt der Beton eingefüllt wird. In einem solchen Tragknoten werden die Vorteile zweier unterschiedlicher Werkstoffe synergistisch genutzt. Die Betonfüllung kann die auftretenden Druckkräfte sehr gut abtragen, während die außenliegende FVK-Hülle die Zug- bzw. Biegespannungen der Tragknoten aufnimmt. Der mehraxiale Spannungszustand in der FVK-Hülle steigert zusätzlich die Druckfestigkeit des Betons.
Der neuartige FVK-Beton-Tragknoten ermöglicht die Herstellung einer Vielzahl
verzweigter Formen und Geometrien. Demonstriert wurde dies bereits anhand eines
Prototyps einer verzweigten Stütze mit geflochtenem Textil in der Ausstellung „baubionik
– biologie beflügelt architektur“ des Naturkundemuseums Stuttgart
(2017/18).
Die durch das Herstellungsverfahren ermöglichte Geometrievielfalt bietet vollkommen neue Möglichkeiten für die Architektur im Allgemeinen und die Tragwerksplanung im Speziellen.
Aufbauend auf abgeschlossene Forschungsvorhaben orientierten sich die Forscher Larissa Born und Florian Jonas bei der Entwicklung der neuen Tragknoten an der Biomechanik pflanzlicher Verzweigungen. In Zusammenarbeit mit der Plant Biomechanics Group(PBG) der Universität Freiburg wurde die Biomechanik natürlicher Verzweigungskonstruktionen von Pflanzen untersucht und wichtige Prinzipien zur Konstruktion mit faserartigen Materialien gewonnen. In der Natur existiert eine Vielzahl an Verzweigungsmustern: Von Astgabeln über symmetrische Drei- oder Vierfachverzweigungen bis hin zu Verzweigungsformen, die nur in bestimmten Pflanzenfamilien auftreten und typisch für diese sind.
Nach der Analyse pflanzlicher Verzweigungen entwickelte das Forscherteam das
Herstellungsverfahren für den Tragknoten: Mit dem Flechtverfahren können die
aus der Biologie abgeleiteten Prinzipien zum effizienten Lastabtrag durch
hochfeste Fasern und entsprechenden Faserorientierungen bestmöglich umgesetzt
werden.
Mit der verwendeten Radialflechtmaschine werden bis zu 216 Fäden
gleichzeitig zur Erzeugung eines 3D-Textils mit drei Faserrichtungen
verflochten. Beim Flechten wird ein entsprechend vorgeformter Flechtkern
mehrmals durch die Mitte der Flechtmaschine hin- und herbewegt. Die sich überkreuzenden
Fäden umhüllen den Flechtkern als textilen Schlauch.
Die in Umfangsrichtung der
Kerngeometrie eingebrachten Flechtfäden bilden vor allem die dichte Hülle für
den Betonguss und verstärken durch ihre Lage als Umschnürung die
Druckfestigkeit des Betons, während die in axialer Richtung orientierten
Stehfäden hauptsächlich die auftretenden Zugkräfte bei Biegebelastung abtragen.
Durch die Materialauswahl und die erarbeiteten Regeln für die Prozessparameter können die Eigenschaften des Textils als Ausgangsmaterial für den FVK gezielt eingestellt werden. Je nach Flechtwinkel, Fadenzahl und Größe des Flechtrings können sehr schnell große und geometrisch komplexe Bauteile hergestellt werden. Auf dem Flechtkern entsteht eine dreidimensionale, endlosfaserverstärkte, verzweigte Preform mit lastpfadangepasster Faserorientierung. Nach der Imprägnierung der textilen Preform mit Kunststoff und anschließender Aushärtung ist diese formstabil und kann als Gussform bzw. verlorene Schalung für den Betonkern verwendet werden.
Die hohen Tragfähigkeiten der neuen verzweigten FKV-Beton-Verbundbauteile
wurden mit Belastungsprüfungen getestet und mit strukturmechanischen
Simulationen prognostiziert. Durch die Verbundkonstruktion und den Effekt der
Umschnürung sind die Bauteile sehr leistungsfähig und führen in Kombination mit
entsprechenden Traggliedern zu schlankeren und leichteren Konstruktionen.
Die Dauerhaftigkeit ist im Vergleich zu konventionellem Stahlbeton erhöht, da materialbedingt eine bessere Beständigkeit gegenüber Korrosion vorliegt. Im Hinblick auf verschiedene Winkel und Durchmesser ist eine große Vielfalt an Knotenformen entsprechend der Vielzahl unterschiedlicher Tragwerke herstellbar. Der geringe Unterschied im Herstellaufwand bei unterschiedlichen geometrischen Konfigurationen begünstigt die Gestaltungsfreiheit im Entwurf des Tragwerks.
Die Erfindung wurde zum Patent angemeldet (DE und EP anhängig). Die Technologie-Lizenz-Büro (TLB) GmbH unterstützt die Universität Stuttgart bei der Patentierung und Vermarktung der Innovation. TLB ist mit der wirtschaftlichen Umsetzung dieser zukunftsweisenden Technologie beauftragt und bietet Unternehmen Möglichkeiten der Zusammenarbeit und Lizenzierung der Schutzrechte.
Weitere Informationen
Quelle: Technologie-Lizenz-Büro der Baden-Württembergischen Hochschulen GmbH; © Fotos: L. Born, Universität Stuttgart (ITKE)
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