26.02.2021 - München
"Ein Dach ohne Nutzung ist eine Vergeudung von Flächen", sagt Dr. Markus Hennecke, Mitglied des Vorstandes der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau. Warum multifunktionale Flächen gerade im Hinblick auf die aktuellen Diskussionen um Flächenverbrauch und -nutzung wichtige Bausteine für die Zukunft sind, beleuchtet Dr. Hennecke in der aktuellen Vorstandskolumne in der Bayerischen Staatszeitung.
Flächenfraß? Flächen verschwinden nicht von der Oberfläche der Erde. Ausgenommen sind allenfalls Küsten, die durch ansteigenden Meeresspiegel untergehen. Das ist aber kein bayerisches Problem. Der Freistaat liegt hoch genug.
Wem diese Feststellung zu banal ist, sollte sich dem Thema Flächennutzung beschäftigen. Flächen werden in Bayern zwar nicht gefressen, sie vermehren sich aber auch nicht. Sie sind eine begrenzte Ressource. Aus Selbsterhaltungsgründen ist die Beschäftigung mit begrenzten Ressourcen essenziell.
In Bayern, Deutschland oder Europa ist die
Grundfläche als Kulturlandschaft nahezu vollständig verteilt auf
Landwirtschaft, Wald und Siedlung. Die Nutzungen stehen in Konkurrenz
zueinander. Jede Nutzungsart kann mit Blick auf das Wohl der Menschen sehr gut
begründen, dass eine Umverteilung zu ihrem eigenen Vorteil ein Gewinn ist. Die
vorhandene Aufteilung der Flächen ist jedoch nicht das Ergebnis einer
wissenschaftlich begründeten Optimierung. Sie hat sich vielmehr aufgrund der
Bevölkerungsentwicklung und der wirtschaftlichen Aktivitäten so eingestellt.
Konkurenzdruck steigt
Es ist aber abzusehen, dass zukünftig Flächen für weitere für die Menschheit wichtige Aufgaben wie Energiegewinnung oder Biodiversität benötigt werden. Der Konkurrenzdruck wird zunehmen. Angesichts dieser Perspektive macht es Sinn, dass jede Nutzungsart sich darauf konzentriert, mit dem eigenen Anteil wirtschaftlich zu haushalten.
Aktuell erleben wir eine Zunahme der
Siedlungsflächen zu Lasten der landwirtschaftlich genutzten Flächen. Die Zunahme
wird getrieben durch die Bevölkerungsentwicklung, wobei feststellen ist, dass
die Siedlungsfläche insgesamt stärker wächst als die Bevölkerung.
In der politischen Diskussion werden Obergrenzen für die Zunahme gefordert. Aber reicht die Festlegung einer Obergrenze aus, um die Probleme zu lösen? Eher nicht, da sich zum einem auch bei einer Obergrenze Anteile langfristig verschieben und zum anderen die anstehenden Aufgaben nicht gelöst werden. Der Wohnungsbedarf lässt sich nicht mit Verordnungen regeln. Es sind Lösungen notwendig, um die bestehende Flächennutzung zu optimieren. Der Ansatz, die Nutzung zu verdichten ist zwar richtig, greift jedoch zu kurz.
Die Aufgaben für Ingenieur*innen und die Gesellschaft werden sein, unsere Städte, unsere bebaute Umwelt neu zu definieren. Die Trennung zwischen Wohnen, Infrastruktur, Grünflächen, Freizeit muss multifunktionalen Lösungen weichen. Ein Gebäude muss verschiedene Nutzung in sich vereinen. Das Innere zum Wohnen und Arbeiten, die Fassade begrünt zur Unterstützung des Stadtklimas und auf dem Dach ein Bolzplatz. Technisch ist alles machbar. In Kopenhagen gibt es eine Müllverbrennungsanlage, auf deren Dach die Menschen im Winter Skifahren. Ein Dach ohne Nutzung ist eine Vergeudung von Flächen.
Flächeneffizienz zur zentralen Agenda machen
Die Stadtplanung muss die Flächeneffizienz zur zentralen Agenda machen. Die verschiedenen Funktionen sind gegeneinander abzuwägen. Für Funktionen, die sich nicht unmittelbar monetär bewerten lassen, sind andere Wertungsmaßstäbe notwendig. Private Investoren, die im öffentlichen Interesse handeln, müssen für den zusätzlichen Aufwand über Steuern oder Förderungen entlohnt werden. In der Verkehrsinfrastruktur muss den Systemen der Vorzug gegeben werden, die mit den geringsten Flächen auskommen. Infrastruktur für motorisierten Verkehr sollte noch mehr in den Untergrund verlegt werden.
Alles nur Luftschlösser? Mitnichten. Weltweit beschäftigen sich Staaten und Städte mit urbanen Lebensräumen der Zukunft. Für den Wohlstand von Regionen und Ländern werden diese Lösungen existenziell sein.
Ingenieur*innen haben technische Lösungen. Die Bayerische Ingenieurekammer-Bau engagiert sich sehr stark für diese Themen. Es bedarf dringend des gesellschaftlichen Willens, die Veränderungen anzugehen. Nachkommende Generationen werden es uns danken.
Kolumne von Dr.Ing. Markus Hennecke, Vorstandsmitglied der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau, veröffentlicht in der Bayerischen Staatszeitung vom 26.02.2021.
Kolumne in der Bayerischen Staatszeitung
Die Bayerische Ingenieurekammer veröffentlicht einmal im Monat eine Kolumne zu aktuellen Themen in der Bayerischen Staatszeitung. Hier nehmen die Mitglieder des Vorstands der Kammer Stellung zu Themen aus Bauwesen, Politik und Gesellschaft.
Hier haben wir Ihnen alle Kolumnen zum Lesen oder als Download bereitgestellt.
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