13.03.2021 - München
Als vor etwa 1,8 Milliarden Jahren zwei Schwarze Löcher kollidierten, konnte noch niemand ahnen, dass damals die Basis für die Messung erster Gravitationswellen gelegt wurde, welche die Raumzeit nach den Einstein’schen Gesetzmäßigkeiten nachhaltig erschüttern würden. Eine praktisch ähnliche Wirkung besaß die Kollision der EU-Dienstleistungsrichtlinie (DLRL) mit der HOAI, die durch den Europäischen Gerichtshof 2019 aufgedeckt wurde. Die seither gemessenen Erschütterungen durchziehen die Bauwelt mit ungeklärten Fragen bis heute, sagt Dr. Andreas Ebert, Justiziar der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau.
Einem Thema hat sich unlängst das OLG Celle gewidmet, nämlich der Frage nach dem eigentlichen Kollisionszeitpunkt. Der Theorie nach kommen dafür zwei Momente in Betracht: der 12.12.2006 oder der 28.12.2009. Das erste Datum entspricht dem Erlass der DLRL, das zweite dem Ablauf der Frist, die den Mitgliedsstaaten für die Umsetzung der Richtlinie in ihr nationales Recht gewährt wurde.
In
seinem Hinweisbeschluss vom 09.12.2020 (14 U 92/20) hat das Gericht über seine
Haltung zu der Frage informiert, wie ein Vertrag zu werten ist, dem die HOAI
1996 zugrunde lag und der in der Phase zwischen diesen beiden Zeitpunkten
geschlossen wurde.
Im zugrunde liegenden Sachverhalt ging es um einen Planervertrag aus dem Jahr 2008. Sollte bereits das erste Datum (2006) maßgeblich sein, wären auf diesen Vertrag nach Meinung des Gerichts die Mindestsätze der HOAI 1996 schon nicht mehr verbindlich anzuwenden. Anderes würde hingegen dann gelten, wenn es für die Vereinbarkeit mit EU-Recht auf den 28.12.2009 ankommen sollte.
EU-Richtlinien enthalten finale Vorgaben für die Mitgliedstaaten, die diese durch Akte der Umsetzung innerhalb einer festgelegten Frist zu realisieren haben. Vor Ablauf dieser Frist entfalte eine Richtlinie aber bereits insofern Rechtswirkungen, als die Mitgliedstaaten Rechtshandlungen zu unterlassen hätten, die den angestrebten Erfolg der Richtlinie vereiteln können (sog. Vor- oder Sperrwirkung). Die Mitgliedstaaten dürften grundsätzlich bis zum Ablauf der in der Richtlinie gesetzten Frist mit deren Umsetzung warten.
Gründe, der DLRL im vorliegenden Fall bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist Rechtswirkungen zukommen zu lassen, vermochte das OLG nicht zu erkennen. Die HOAI 1996 sei bereits vor der DLRL erlassen worden, sodass es sich gerade nicht um eine Maßnahme handele, die die Umsetzung der Richtlinie zwischen Erlass und Umsetzungsfrist hätte vereiteln können.
Das OLG Celle zählt zu den Hardlinern der Branche, welche der DLRL nach Fristablauf unmittelbare Wirkung zusprechen. Im hier zu behandelnden Fall war dies aber irrelevant. Ein Verstoß käme nur in Betracht, wenn die DLRL nach Ablauf der Umsetzungsfrist rückwirken würde auf Sachverhalte, die sich vorher ereignet haben.
Der Gemeinschaftsgesetzgeber habe der DLRL jedoch keine rückwirkende Kraft beigelegt. § 55 der am 17.08.2009 in Kraft getretenen HOAI 2009 bestimmt, dass für Leistungen, die vor ihrem Inkrafttreten vertraglich vereinbart wurden, die bisherigen Vorschriften anwendbar bleiben. Die während der HOAI 1996 entstandenen Sachverhalte fielen somit grundsätzlich weder unter die DLRL noch unter die HOAI 2009. Das Problem der Vereinbarkeit mit der DLRL stelle sich daher erst mit der HOAI 2009.
Ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV (damals Art. 43 EGV) liege ebenfalls nicht vor. Betroffen sei vorliegend ein ausschließlich innerstaatlicher Sachverhalt. Vom Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit seien aber nur grenzüberschreitende Fälle innerhalb des Binnenmarkts erfasst.
In diesem Punkt erweisen sich die Richter aus Celle eine Nuance milder als das OLG Düsseldorf, welches Art. 49 AEUV auch auf einen Sachverhalt anwenden will, an dem nur Inländer beteiligt sind (Urteil v. 28.01.2020, 21 U 21/19 – BauR 2020, 863). Sollte das OLG Düsseldorf mit seiner Theorie Recht behalten, müsste sich bereits am 1.12.2009 eine weitere Kollision ereignet haben, die womöglich noch schwerer wiegt als die durch den EuGH detektierte.
An diesem Tag war der Vertrag von Lissabon in Kraft getreten, mit dem auch Art. 49 AEUV wirksam geworden ist. Da dieser Art. 49 AEUV aber wörtlich mit dem vormaligen Art. 43 EGV übereinstimmt, müsste der Altregelung daher dieselbe Wirkung beigemessen werden. Diese geht auf den Vertrag von Amsterdam zurück, der am 02.10.1997 ratifiziert wurde und am 01.05.1999 in Kraft getreten ist. Beide Daten reichen jedoch nicht zum 01.01.1996 zurück, an dem die HOAI 1996 in Kraft getreten war.
Es überzeugt daher, wenn das OLG Celle im Gegensatz zu den Kollegen aus dem Rheinland die HOAI 1996 nicht vom EU-Recht tangiert sehen. Da 2002 nur die Tafelwerte in Euro umgerechnet wurden, ändern diese Eingriffe an diesem Befund nichts. Wenn also Ingenieurverträge, die vor dem 17.08.2009 und damit vor dem Inkrafttreten der HOAI 2009 und der DLRL geschlossen wurden, dem alten Mindestsatzgebot unterliegen, ist noch nichts darüber gesagt, ob dies auch für solche Aufträge gilt, die zwar nach diesem Termin, jedoch vor dem 28.12.2009 erteilt wurden.
Neben der Frage der Anwendungsreichweite der Niederlassungs- wie der Dienstleistungsfreiheit wird es auch auf die sich aus der DLRL ergebende Sperrwirkung ankommen, die seit dem 12.12.2006 gilt. Auch wenn die HOAI 2009 das Mindestsatzgebot lediglich perpetuiert hat, könnte genau darin ein Verstoß gegen das Vereitelungsverbot liegen, welches dem Inkrafttreten der DLRL vorausgeht. Ob darüber je ein Gericht befinden muss, ist angesichts der mutmaßlich überschaubaren Zahl an Verträgen, die in dem schmalen Zeitfenster von gut vier Monaten geschlossen wurden und noch immer nicht abgeschlossen wurden, eher zu bezweifeln.
Einstweilen
umkreisen nun aber die nationale HOAI und das EU-Recht einander und werden den
Gesetzen der Schwerkraft folgend eines fernen Tages miteinander verschmelzen.
Das muss jedoch noch lange nicht das Ende der HOAI bedeuten, denn es ist nicht ausgeschlossen, dass die Honorarordnung als Jet aus dem neuen Stern herausstrahlt und am Ende gar Grundlage für eine neue – womöglich europäische – Verordnung wird. Das freilich mag noch 1,8 Milliarden Jahre dauern.
Dr. Andreas Ebert
Justiziar und stellvertretender Geschäftsführer
Bayerische Ingenieurekammer-Bau
+49 (0) 89 41 94 34-15
E-Mail
http://www.bayika.de
©
Fotos: David Mark und Heather Plew / Pixabay;
Tobias Hase, Gemeinfrei via Wikimedia Commons, Foto: Bernd Schwabe in Hannover,
CC BY-SA 3.0,
via Wikimedia Commons, Eoneren / istockphoto
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