02.08.2021 - Leipzig
Im Juli 2021 gab es extreme Niederschläge in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Bayern und Sachsen, 2018 und 2019 litt Deutschland unter einer langanhaltenden Trockenheit und Hitze. Laut jüngeren Klimastudien wird die Wahrscheinlichkeit für beide Extreme zunehmen. Wissenschaftler*innen unter der Koordination des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) haben fünf wesentliche Prinzipien definiert, an denen Städte und Gemeinden ihren Umbau für mehr Klimasicherheit orientieren sollten.
Im Juli 2021 führten starke und langanhaltende Niederschläge in den deutschen Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Bayern und Sachsen zu Zerstörungen an Infrastrukturen und Gebäuden sowie Verletzten, Vermissten und Toten in bisher unvorstellbarem Ausmaß. In den Jahren 2018 und 2019 dagegen litten Landwirtschaft, Wälder, Oberflächengewässer und Grundwasser, aber auch Menschen und Ökosysteme unter den enormen Folgen von langanhaltender Trockenheit und Hitze. Jüngere Klimastudien zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit für beide Extreme zunehmen wird.
Jedes extreme Wetterereignis für sich kann existenzbedrohend sein, und gerade die jüngsten Überflutungsereignisse sind mit nicht tragbaren Schäden an Leib und Leben, mit dem Verlust an materiellen, ideellen und nicht ersetzbaren kulturellen Werten verbunden. Umso wichtiger ist es, die richtigen Lehren zu ziehen. Für umfassende Schlussfolgerungen aus diesem speziellen Ereignis ist es zu früh: Es bedarf genauerer Daten und Analysen, um die Mechanismen und Faktoren, die zu diesen enormen humanitären und finanziellen Auswirkungen von Extremereignissen führen, besser zu verstehen, u.a. hydrologische Prozesse, Fragen der Frühwarnung und Risikovorsorge sowie der Verletzlichkeit und Landnutzung. Erst auf dieser Basis können fundierte Ziele und Handlungserfordernisse für eine bessere und zukunftssicherere Entwicklung von Kommunen und Städten abgeleitet werden.
Dieses Statement soll einen gemeinsamen Diskussionsprozess anstoßen. Der Klimawandel stellt gerade Gemeinden und Städte vor gewaltige Aufgaben. Daher gilt es, den Umbau von Städten und Gemeinden, von Gebäuden und Infrastrukturen sowie Ökosystemen gemeinsam voranzutreiben und uns auf eine neue Wetterdynamik einzustellen.
Es ist an der Zeit, ähnlich wie beim Klimaschutz, ein groß angelegtes Klimaanpassungsprogramm auf den Weg zu bringen. Es gilt, das Risikomanagement von Wetterextremen und den Bevölkerungsschutz sowie die strategische Planung in Kommunen und Städten weiter zu stärken. Ziel muss es sein, die Klimasicherheit von Gemeinden und Städten auf ein neues Fundament zu stellen. Dafür bedarf es der weiteren Verbesserung unserer Wissensgrundlage, aber auch der Kooperation aller Akteure, inklusive der Politik und der Behörden von Bund und Ländern, privater Unternehmen, Vereine sowie der einzelnen Menschen vor Ort.
Im Folgenden stellen wir wesentliche Prinzipien vor, an denen sich der Umbau von Städten und Gemeinden orientieren sollte, um ihre Klimasicherheit zu erhöhen. Die hier vorgeschlagenen Prinzipien sind in der Fach-Community etabliert. Viele der Forderungen wurden bereits nach den großen Hochwassern 1993 und 1995 am Rhein bzw. im Nachgang der zerstörerischen Hochwasser 2002 und 2013 öffentlich gemacht.
Mit diesem Statement soll ihre Bedeutung nochmals unterstrichen werden. Die Prinzipien gehen über die Gemeinde- und Stadtgrenzen hinaus, da viele Maßnahmen zwar in Städten wirken, aber auf anderer räumlicher oder föderaler Ebene entschieden und umgesetzt werden müssen. Die Prinzipien sollen helfen, die Klimasicherheit von Städten und Gemeinden stärker zu priorisieren.
Die Lösungen müssen allerdings immer im jeweiligen Kontext entwickelt werden. Die Herausforderungen in den Mittelgebirgen mit seinen vielen kleinen Flusseinzugsgebieten sind andere als im Flachland. Während einige Prinzipien unmittelbar angegangen und zeitnah umgesetzt werden sollten (z.B. Frühwarnung und Bevölkerungsschutz), sind andere nur längerfristig umsetzbar (Umbau von Infrastruktursystemen, Steigerung der Speicherfähigkeit von Landschaften). Allerdings gilt: Auch für längerfristige Transformationsprozesse sind die Grundlagen zeitnah zu legen.
Auch für kleinere Flusseinzugsgebiete gilt es, die Vorhersage von Hochwasserwellen zu verbessern und zuverlässige Warnsysteme aufzubauen. Neben der Entwicklung von robusten Vorhersage-Modellen ist die Etablierung einer dauerhaften und verlässlichen Kommunikation mit Vertreter*innen von Städten und Gemeinden sowie den Bürger*innen vor Ort unerlässlich. Nur eine Warnung, die Menschen verstehen und der sie vertrauen, wird zu den gewünschten Handlungen führen.
Neben etablierten Schutzlösungen wie Deichen, Mauern und Poldern gilt es vermehrt, Gemeinden, Städte und Landschaften wie Schwämme zu konzipieren und den Wasserrückhalt in der Landschaft zu verbessern. Jeder Kubikmeter Wasser, der nicht über die Kanalisation in Bäche und Flüsse eingeleitet wird, trägt zur Abflachung von Hochwasserwellen bei, kann diese aber, wie bei den Ereignissen 2021, nicht verhindern.
Daher gilt es, den Wasserrückhalt und das Speichervermögen von Flussauen, Wald- und Agrarlandschaften, aber auch in den dichter besiedelten Bereichen durch zusätzliche Grün- und Freiflächen zu steigern. Gerade für extreme Niederschläge sind zusätzliche Speicherräume und grüne Infrastrukturen so zu konzipieren, dass diese auch als Notwasserwege im Fall der Fälle vorbereitet sind. Ein hohes Speichervermögen für Wasser hilft nicht nur in Hochwasser-, sondern auch in Trockenzeiten.
Bei der Sanierung, dem Wiederaufbau nach Katastrophen und dem Neubau von öffentlichen Infrastrukturen und Gebäuden - insbesondere sogenannten kritischen Infrastrukturen - gilt es, die Folgen des Klimawandels abzuschätzen und Bemessungswerte entsprechend zu erneuern. Dies schließt auch die Berücksichtigung von Kaskadeneffekten durch die Unterbrechung von Versorgungsleistungen in Infrastruktursystemen ein.
Infrastrukturen (Versorgung mit Wasser, Strom etc.), das Rückgrat unserer modernen Gesellschaft, müssen so konzipiert werden, dass sie auch in extremen Wetterlagen funktionieren oder entsprechende Rückfalloptionen erlauben. Es ist nicht hinnehmbar, wenn gerade während einer Krise notwendige Kommunikationsnetze, medizinische Dienstleistungen und Einrichtungen ausfallen, da sie nicht hinreichend auf solche Extremereignisse vorbereitet sind.
Bei dem Neubau bzw. der Sanierung im Bestand gilt es, die Klimasicherheit von Gebäuden von Anfang an mitzudenken und den Schutzstandard zu erhöhen, insbesondere auch von Einrichtungen, die besonders vulnerable Gruppen wie Kinder, Senioren oder behinderte Menschen beherbergen. Dafür bedarf es, ähnlich wie bei der energieeffizienten Sanierung, finanzieller Förder- und Anreizinstrumente sowie der Etablierung vorsorgeorientierter Versicherungsprämien.
Auch bei Bauanträgen und Immobilienverkäufen sollten systematisch entsprechende Informationen über Starkregen- oder Hochwassergefahren bereitgestellt und abgefragt werden. Zukunftsherausforderungen im Gebäudebestand allein appellativ bzw. reaktiv meistern zu wollen, wird nicht ausreichen.
Für den Umbau bedarf es des Innovations- und Gestaltungswillens auf Seiten von Städten, Gemeinden, Investoren und Privatpersonen ebenso des Einsatzes von Finanzierungs- und Anreizinstrumenten auf Seiten des Bundes bzw. der Länder. Es braucht durchsetzungsstarke Instrumente in der Planung sowie kohärente und standardisierte Rahmenwerke und Vorgehensweisen.
Des Weiteren sind Nutzen und Lasten des Umbaus hin zu klimasicheren Städten und Gemeinden solidarisch zu verteilen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Gemeinden, die im Oberlauf von Flüssen mehr Raum für Wasser schaffen, werden davon nur indirekt profitieren; Gemeinden im Unterlauf aber unmittelbar, da das Überflutungsrisiko reduziert wird.
Ausführliches Statement
Das ausführliche Statement finden Sie uner diesem Link:
Die Autorinnen und Autoren:
Prof. Dr. Christian Kuhlicke (UFZ), Prof. Dr. Christian Albert (Ruhr-Universität Bochum), Prof. Dr. Daniel Bachmann (Hochschule Magdeburg-Stendal), Prof. Dr. Jörn Birkmann (Universität Stuttgart), Prof. Dr. Dietrich Borchardt (UFZ), Prof. Dr. Alexander Fekete (Fachhochschule Köln), Prof. Dr. Stefan Greiving (TU Dortmund), Prof. Dr. Thomas Hartmann (TU Dortmund), Prof. Dr. Bernd Hansjürgens (UFZ), Prof. Dr. Robert Jüpner (TU Kaiserlautern), Prof. Dr. Sigrun Kabisch (UFZ), Prof. Dr. Kerstin Krellenberg (Universität Wien), Prof. Dr. Bruno Merz (GFZ), Prof. Dr. Roland Müller (UFZ), Prof. Dr. Dieter Rink (UFZ), Dr. Karsten Rinke (UFZ), Prof. Dr. Holger Schüttrumpf (RWTH Aachen), Prof. Dr. Reimund Schwarze (UFZ), Prof. Dr. Georg Teutsch (UFZ), Prof. Dr. Annegret Thieken (Uni Potsdam), Dr. Maximilian Ueberham (UFZ), Prof. Dr. Martin Voss (FU Berlin)
Ergänzende Informationen:
Die
Helmholtz-Klimainitiative forscht im Bereich Anpassung an Extremereignisse:
Weitere Informationen
Prof. Dr.
Christian Kuhlicke
UFZ-Department Stadt- und Umweltsoziologie
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Quelle: Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ), © Foto: Hans Braxmeier / Pixabay
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