10.08.2021 - Dübendorf
Die getesteten Betonplatten: Die Risse und Verformungen im Labor zeigen, dass das neue Verfahren großes Potenzial hat. Oben: Ebrog-Methode mit Vorspannung, darunter ohne Vorspannung und klassisches Verfahren sowie ein unverstärktes Bauteil zum Vergleich. Bild: Empa
Die Technologie, Betonbauwerke mit kohlefaserverstärktem Kunststoff zu stabilisieren und so zu einem längeren Leben zu verhelfen, entstand vor Jahrzehnten; unter anderem an der Empa. Heute arbeiten Forschende der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in Dübendorf (Schweiz) an einer neuen Variante mit vorgespannten Lamellen – mit guten Aussichten für die Praxis.
Durchgebogene Betonbalken, Risse an Unterseiten von Brücken, Rostgefahr für die Armierung: In der Schweiz sind viele Bauwerke in die Jahre gekommen. Beispiel Nationalstraßen: Laut dem Zustandsbericht 2019 des Schweizer Bundesamtes für Straßen (ASTRA) wurde ein großer Teil der Brücken von Mitte der Sechziger- bis zu den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts errichtet – bei deutlich geringeren Verkehrsbelastungen als heute.
Um Tragwerke, die unter ihren Lasten ächzen, zu sanieren, kommen seit langem kohlefaserverstärkte Kunststoffe (CFK) zum Einsatz: Flache Lamellen, auf die Unterseite geklebt, wirken der Belastung entgegen. Bei der „Ebrog“-Methode (für engl. externally bonded reinforcement on grooves) beispielsweise, die erst in den vergangenen Jahren entstand, werden dazu vorab schmale Rillen in Längsrichtung in den Träger gefräst: mehr Fläche für die Kraftübertragung, die zudem tiefer in den Beton hineinwirkt. Bei einer Brückensanierung in Küssnacht kam dieses Verfahren 2018 erstmals zum Einsatz.
Nun entwickeln Empa-Forschende die Methode in einem Innosuisse-Projekt mit dem Industriepartner S&P Clever Reinforcement Company in Seewen weiter. Das Team um Christoph Czaderski von der Forschungsabteilung „Ingenieur-Strukturen“ testet vorgespannte CFK-Lamellen, die Betonbalken „aktiv“ verstärken: Sie werden unter Zugspannung mit Epoxidharz aufgeklebt. Ist die Verbindung erhärtet, werden die Enden entspannt – und die Streifen, die sich zusammenziehen „wollen“, wirken der Durchbiegung noch stärker entgegen.
Was zunächst simpel klingt, ist im Detail knifflig – gerade an den Enden der Streifen, an denen gewaltige Zugkräfte von bis zu 14 Tonnen wirken. Damit sie nicht abreißen, müssen sie zuverlässig fixiert sein. Bislang geschieht das mit Aluminiumplatten, geklebt und mit Dübeln gesichert – doch das Empa-Team hat für die neue Methode eigens U-förmige Bügel aus CFK entworfen. Die Vorteile: präziser definierte Übertragung der Kräfte und vor allem eine metallfreie Konstruktion – immun gegen allgegenwärtige und gefürchtete Korrosion.
„Eine Lösung aus einem einzigen Material ist immer besser als aus zweien, die sich unterschiedlich verhalten“, erklärt Czaderski, „gerade für die Verankerung haben wir im Labor viele Versuche gemacht.“ Das Team profitierte dabei von Erfahrungen an der „Isfahan University of Technology“ im Iran. „Dort wurde viel Grundlagenforschung gemacht“, erklärt Czaderski. „Unsere Postdoc-Mitarbeiterin Niloufar Moshiri kam mit der Idee zu uns, das Ebrog-Verfahren mit Vorspannung zu kombinieren.“
Das Potenzial ist groß, wie Versuche im Labor zeigen: Das Verfahren mit Vorspannung und CFK-Bügeln erhöhte die Belastungsfähigkeit einer Betonplatte um 77 Prozent gegenüber der „klassischen“ Verstärkungsmethode ohne Rillen und Vorspannung. Selbst ohne Vorspannung waren es noch 34 Prozent.
Um die Technologie marktreif zu machen, sollen zunächst Großversuche an Betonplatten mit einer Spannweite von sechs Metern weitere Erkenntnisse liefern, bevor 2021 ein reales Sanierungsprojekt folgt. Beim Industriepartner arbeitet man derweil schon an praktischen Aspekten. Für die U-Bügel, bislang in Handarbeit aus Karbonprofilen geformt, entwickeln die Fachleute ein industrielles Verfahren. Und die Ausrüstung, mit der die Lamellen bislang vorgespannt werden, „müssen wir für das neue Verfahren umdesignen“, erklärt Martin Hüppi, der das Projekt bei S&P leitet und seit langem erfolgreich mit den Empa-Fachleuten kooperiert.
Mühen, die sich lohnen könnten: Jedes Bauwerk, das saniert und nicht neu errichtet wird, spart nicht nur Kosten, sondern auch CO2-Emissionen ein. Zudem wäre das Verfahren beim Einbau leichter und schneller zu handhaben. „Es wäre auch preislich für Bauherren vertretbar“, sagt Hüppi, der gute Chancen für Anwendungen sieht – nicht nur bei gealterten Großbauwerken wie Brücken, sondern auch bei Sanierungen im Wohnungsbau. „Ich sehe dafür absolut einen Markt“, sagt Hüppi, „und mit der Vorspannung nutzt man das Potenzial des Materials ja erst voll aus.“
Quelle: Eidgenössischen
Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa, Fotos: Empa, S&P
Clever Reinforcement Company AG, Empa, Empa
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