02.11.2021 - München
"Ökonomisch, ökologisch und sozial ist der Bau das wichtigste Feld der Politik. Dafür braucht man aber kein närrisches Heimat-, sondern endlich ein kluges Superbauministerium", sagt Gerhard Matzig in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 01.11.2021, den wir hier mit freundlicher Genehmigung des Autors bereitstellen.
Der Originalbeitrag ist in der Süddeutschen Zeitung vom 01.11.2021 erschienen. Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Gerhard Matzig / Süddeutsche Zeitung.
Ökonomisch, ökologisch und sozial ist der Bau das wichtigste Feld der Politik. Dafür braucht man aber kein närrisches Heimat-, sondern endlich ein kluges Superbauministerium.
Von Gerhard Matzig
Hier exklusiv eine vertrauliche Stellenausschreibung der nächsten Koalition: "Die Bundesregierung sucht eine Persönlichkeit (w/m/d), die in der Lage ist, ein neues Bundesbauministerium mit Sitz in Berlin zu führen. Dieses Superministerium wird die vernachlässigten Bereiche Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung, Mobilität und Planungskultur klimagerecht und zukunftsfähig machen. Idealerweise ist Ihnen die überragende ökonomische Bedeutung der Bauwirtschaft geläufig. Sie wissen aber auch, dass sich auf dem Bau in ökologischer Hinsicht die Zukunft entscheidet."
Schade, dass "Superelastico" weder eine reale Persönlichkeit noch auf Jobsuche ist. Die Comicfigur, erfunden vom Turiner Architekten Stefano Pujatti, ist aber ein allmächtiger Gestalter. Eine Figur, wie sie dem übersteigert selbstbewussten Denken des Klassizismus-Architekten Claude-Nicolas Ledoux entspringen hätte können. Der glaubte im späten 18. Jahrhundert, dass Architekten die "Rivalen des Schöpfers" seien. Und die "Titanen der Erde". Klingt nach Superkräften? Unbedingt.
Eine Superhelden-Mischung aus Batman, Mrs. Incredible und Markus Söder wäre auch heute gefragt. Jemand, der in der Lage ist, mit übernatürlichen Kräften die Zukunft der Menschheit wie aus Legosteinen besser zu bauen: klimagerecht, menschenfreundlich, die Natur als Lebensraum des siedelnden Menschen bewahrend. Schon klar, das Ganze ist eine surreale Fantasie - genau wie die eingangs erwähnte Stellenausschreibung. Es gibt sie nicht, es gibt kein Superministerium des Bauens.
Genau das ist das Problem. Denn die Ampel-Koalitionäre sind gerade dabei, eine Jahrhundertchance zu verpassen, die gleichzeitig dringende Notwendigkeit ist. Am Planen und Bauen, an Architektur, Städtebau und Freiraumplanung entscheidet sich die Zukunft des Planeten. Geht's ein bisschen kleiner? Nö.
Der Bau- und Immobilienbereich ist weltweit der mit Abstand größte Treibhausgasemittent. Bald vierzig Prozent der Treibhausgase gehen auf das Konto von Bauen und Wohnen. Zum Vergleich: Der satanische Flugverkehr bringt es auf zwei bis drei Prozent. Zudem ist das Bauen verantwortlich für das Müllproblem. In Deutschland ist mehr als die Hälfte des Gesamtmüllaufkommens nur dem Bauschutt zuzurechnen. Weltweit ist es ähnlich.
Wie die Schrift gehört die Stadt zu den bedeutsamen Errungenschaften der Zivilisation. Sie könnte aber auch zu den bedeutsamen Totengräbern aller Zivilität gehören. Schließlich sind Städte die größten Energiefresser. Obwohl sie nur wenige Prozent der Erdoberfläche besetzen, beanspruchen sie mehr als 70 Prozent der verfügbaren Energie, Tendenz dramatisch steigend.
Die Städte und Häuser sind als Habitate Hauptfaktoren im Klimawandel. Das betrifft uns alle, weil wir alle irgendwo wohnen, arbeiten und einkaufen. Wie die Hochwasserkatastrophe aber erst kürzlich gezeigt hat: Die Siedlungsräume gehören nicht nur zu den Tätern, sondern auch zu den Opfern der Tragödie.
Architektur und Stadtplanung, das Wohnen in Häusern, das Produzieren und Konsumieren in Gewerberäumen und das Arbeiten in Büroräumen, das Verweilen in Kulturräumen, das ganze große Behaust-und Dasein samt Infrastruktur und Mobilität: Für all das gibt es Planungen. Die mal besser, mal schlechter geraten. Die mal besser, mal schlechter orchestriert sind und somit die Überlebenschancen auf einem Planeten mit Mindesthaltbarkeitsdatum definieren. Nur Elon Musk, Jeff Bezos und Captain Kirk muss das nicht interessieren. Alle anderen schon.
Planer, also Architekten, Stadtraumdenker, Freiflächengestalter: Sie stehen genau dort, schicksalshaft geradezu, wo sich alles entscheidet. Auch finanziell. Die Baubranche ist die wichtigste Stütze der Konjunktur und sorgt hierzulande für 6,1 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfungskette. Es geht jährlich um Hunderte Milliarden Euro. Und um das, was man nicht in Geld messen kann: einen schönen Lebensraum.
Es wäre daher höchste Zeit, endlich ein integrales Superministerium zu schaffen. Beim Bauen geht es längst nicht mehr um Architektur allein. Es geht um die Architektur als Tragwerk des Daseins. Das Bauen ist seit der vitruvianischen Urhütte aufs Engste mit der Zivilisationsgeschichte und archaischen, elementaren, menschlichen Bedürfnissen verbunden. Nun zeigt sich, dass das Bauen auch in unsere Zukunft weist wie keine andere Disziplin. Das Bauen ist reiner Futurismus.
Besonders gilt das für ein dermaßen intensiv und leider auch dermaßen falsch bebautes Land wie Deutschland, das sich schon ausweislich seiner chaotischen, dysfunktionalen, bürokratisch gelähmten bis widersinnig steuernden Baugesetzgebung immer wieder als Land nicht der Visionäre und Gestalter, sondern der Schildbürger und Verwalter erweist. In diesem Land heißt das, was ein Superministerium der zukünftigen Lebensraumplanung sein müsste, wie ein Kodacolorfilm der Fünfzigerjahre. Nämlich "Heimatministerium". Das auch irgendwo beim Bau angesiedelt ist, der auch irgendwo im Bundesinnenministerium angesiedelt ist. Gerüchteweise.
Der Wohnungsbau hat gar kein Ministerium, und der Verkehr, der mit Stadt und Land die wichtigsten Player verbindet, befindet sich seit verlorenen Jahrzehnten in CSU-Hand. Wäre ein Chef von BMW oder Audi für die Bahn, intelligente Mikromobilität und fahrradfreundliche Innenstädte zuständig: Sogar dann stünde es besser um dieses retroselige Heimatmuseum namens Deutschland, das im internationalen Vergleich auf der Standspur der Mobilität herumkriecht: ötlötlötl. Es grenzt an Dadaismus, wenn zu den wenigen Errungenschaften, die die Ampel-Koalitionäre bisher vorzuweisen haben, das Einkassieren des Tempolimits gehört.
Was sonst aus den Ampel-Verhandlungen zu hören ist? Eine einzige Zahl: 400 000 Wohnungen. Die will man pro Jahr bauen, zack, zack, um dem durch die jahrelang betriebene Privatisierung des öffentlichen Wohnungsbaus selbst verschuldeten Elend beizukommen. Dazu gesellt sich ein Narren-Credo: "Bauen, bauen, bauen!" Das ist zu wenig für eine Koalition der Reformer. Wie oft war von Annalena Baerbock das Wort "Aufbruch" im Wahlkampf zu hören? 400 000-mal? Die aus der Baumarktgrabbelkiste des alten Denkens stammende Strategie - schneller mehr zu bauen - ist auf unfassbare Weise lebensfeindlich. Es muss endlich um das Bauen von richtigen und angepassten Lebensräumen gehen. Statt darum, schon wieder die falschen Kubikmeterberge zu betonieren.
Viel wäre gewonnen, wenn die postpandemische Einsicht auch in Berlin reifen würde: Durch die Erfahrung der zumeist unproblematischen Home-Office-Möglichkeiten wird in absehbarer Zeit nicht die Stadt, sondern das Land (wo es schon jetzt genug Wohnraum gibt) ein Comeback erleben. Das belegen bereits erste Zahlen.
Einfach nur in den verdichteten Städten alte Rezepturen zu befeuern, statt sich um die Ertüchtigung des boomenden Landes zu kümmern: Das zeigt beispielhaft, wie blind das öffentliche Planen wütet. Der in den Städten grassierende Wohnraummangel, zu beheben eher mit der Digitalisierung des Landes, markiert zudem nur eines der gewaltigen Probleme.
Das Thema ist viel größer, als es das sehr kleine oder jedenfalls öffentlich gewordene Denken der vorgeblichen Reformer darstellt. Es wird Zeit, endlich aufzuwachen. Um das Ganze zu sehen.
Lamia Messari-Becker, Bauingenieurin und bis 2020 Mitglied des Sachverständigenrats für Umweltfragen der Bundesregierung, bringt das Thema auf den Punkt: "Klar ist, dass es endlich um Lebensraumplanung gehen muss - und nicht mehr nur darum, Baumassen aufzutürmen und Fläche unkontrolliert zu verbrauchen."
Sie fragt (ein fiktives Bundesbauministerium): "Wie verbinden wir Wohnen und Arbeit? Wie schaffen wir innerstädtische Freiräume? Wie überwinden wir die Kluft zwischen Stadt und Land? Wie nutzen wir die ökonomische Stärke der Baubranche für eine Kreislaufwirtschaft? Wie reduzieren wir den Energie- und Materialverbrauch beim Bauen? Wie schaffen wir eine Trendwende beim Flächenverbrauch? Wie lassen sich Energie und Mobilität bezahlbar für alle Menschen gestalten?" Das sind nur die drängendsten Fragen. Für die Antworten fehlt bisher nicht die Expertise in Deutschland - aber die politische Macht. Der politische Mut. Der Aufbruch.
Die Macht der Schöpferarchitekten ist passé. Sie wird von Superelastico karikiert, der die Moderne kritisch bilanziert. Das Jahrhundert des Bauens ist auch ein Jahrhundert der Zerstörung durch das Bauen. Man wäre heute dennoch froh um titanische Superhelden. Statt das Übliche zu verwalten, könnten Superelasticos Erben ein besseres Morgen planen. Pensionsberechtigt. Mit Sitz in Berlin.
Quelle: Der Originalbeitrag ist in der Süddeutschen Zeitung vom 01.11.2021 erschienen. Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Gerhard Matzig / Süddeutsche Zeitung. Foto: checubus / Adobe Stock
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