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Wohnungsbau-Tag: Fahrplan zur Klimaneutralität beim Wohnen

Machbarer Klimaschutz bei Altbauten kostet 3,6 Billionen Euro bis 2045 - Wohnungsbau-Studie: 4,3 Mio. neue Wohnungen durch Umbau möglich

21.02.2022 - Berlin

Wohnungsbau-Tag: Fahrplan zur Klimaneutralität beim Wohnen

400.000 Wohnungen sollen in diesem und in den kommenden drei Jahren neu geschaffen werden – jede Vierte davon eine Sozialwohnung. Diese Zielmarke hat die Ampel-Regierung gesetzt. Dazu stehen ehrgeizige Klimaschutzziele im Koalitionsvertrag, die enorme Auswirkungen auf das Bauen und Wohnen haben werden. Sieben führende Organisationen und Verbände der Bau- und Immobilienbranche haben dazu auf dem 13. Wohnungsbau-Tag ein Konzept vorgestellt, wie diese „Herkulesaufgabe für ein neues Wohnen“ gemeistert werden kann.

Das Verbändebündnis Wohnungsbau legte eine aktuelle Studie des Bauforschungsinstituts „ARGE für zeitgemäßes Wohnen“ (Kiel) vor. Darin setzen die Wissenschaftler beim „Mammutprogramm Wohnen“ der Ampelkoalition auf einen Mix aus mehr Neubau und deutlich mehr Umbau im Gebäudebestand. Das sei – zusammen mit mehr Klimaschutz beim Wohnen – allerdings nur zu erreichen, wenn der Staat eine Reihe von zusätzlichen Steuer-Anreizen setze und KfW-Programme anpasse bzw. neue Förderungen schaffe.

„Aus der vorhandenen Gebäudesubstanz kann erstaunlich viel herausgeholt werden: Das Potential, das allein der Umbau bestehender Gebäude bietet, liegt bei über 4,3 Millionen neuen Wohnungen. Genug also, um in Kombination mit dem Bau komplett neuer Wohnhäuser das Ziel der Bundesregierung zu erreichen. Der Vorteil der Umbau-Offensive: Es gibt eine enorm hohe Anzahl neuer Wohnungen – ohne dafür auch nur einen einzigen Quadratmeter Bauland zusätzlich zu benötigen“, sagt ARGE-Institutsleiter Dietmar Walberg.

Eine gewaltige Chance sieht Walberg dabei im Umbau von Büros, die auch nach der Corona-Phase durch das Etablieren vom Homeoffice nicht mehr gebraucht werden. Rund 1,9 Millionen neue Wohnungen könnten so entstehen. Und das relativ kostengünstig: Der Umbau von Büros kostet pro Quadratmeter Wohnfläche knapp 1.300 Euro. Zum Vergleich: Im Neubau sind es mehr als 3.400 Euro. Auch die Dachaufstockung bei Wohnhäusern, die in der Nachkriegszeit bis zum Ende der 90er-Jahre gebaut wurden, bietet nach Angaben der Studie enormes Potential: Rund 1,5 Millionen neue Wohnungen sind hier durch On-Top-Etagen möglich. Und das zu Kosten von weniger als 2.500 Euro pro Quadratmeter.

Dazu kommen noch einmal rund 560.000 Wohnungen, die durch das Aufstocken von Verwaltungsgebäuden und Bürokomplexen entstehen könnten. Zusätzlich bieten On-Top-Etagen auf Supermärkten, Discountern, Einkaufspassagen und Parkhäusern die Chance auf rund 420.000 neue Wohnungen – meistens in attraktiven Citylagen.

Vor allem liefert die Wohnungsbau-Studie auch einen Fahrplan dafür, wie das Wohnen klimaneutral werden kann: Die Wissenschaftler setzen auf mehr Energiespar-Sanierungen bei den knapp 19,3 Millionen Wohngebäuden in Deutschland. Hier fordern sie, einen „Turbo-Gang“ einzulegen: Rein rechnerisch sollte künftig jeder 55. Altbau pro Jahr energetisch komplett modernisiert werden. Bislang ist es nur jedes hundertste Wohnhaus. Damit würde die jährliche Sanierungsrate von derzeit einem auf dann 1,8 Prozent steigen.

Bei der Klimaschutz-Modernisierung fordern die Wissenschaftler der ARGE allerdings, Kosten und Nutzen gründlich abzuwägen, um das Wohnen nicht unverhältnismäßig teuer zu machen. Deshalb favorisieren sie bei energetischen Sanierungen von Gebäuden das Effizienzhaus 115 als Standard. Ein voll sanierter Altbau würde dann beim Energieverbrauch sogar bis auf 15 Prozent an einen Neubau mit seinen heute – im Gebäudeenergiegesetz (GEG) – vorgeschriebenen Standards heranreichen. Beim künftigen Neubau empfiehlt die Studie das Effizienzhaus 70. Schließlich sei es beim Neubau genauso wie beim Modernisieren notwendig, die Ressourcen im Blick zu haben – vor allem auch Fachkräfte und staatliches Fördergeld. Beides sei knapp. Und hier bieten die Effizienzstufen 115 (Altbau) und 70 (Neubau), so die ARGE, einen „machbaren Mittelweg“.

„Die Ampelkoalition muss jetzt den Weg frei machen für klimaschonendes Bauen und Modernisieren, das für alle bezahlbar ist. Das gelingt nur, wenn bei der Gebäudeeffizienz Kosten und Nutzen gründlich abgewägt werden. Es darf nicht mit Scheuklappen nur auf die Gebäudehülle geachtet werden, sondern es ist ein Mix aus maßvoller und bezahlbarer Verbesserung der Gebäudehülle, CO2- freier Wärmeversorgung und robuster Technik zur verbrauchssenkenden Nutzerunterstützung notwendig. Immer höhere Standards überfordern sowohl Bauherren als auch Mieter finanziell
und bringen nicht den gewünschten Klima-Effekt. Erneuerbare Energien, Mieterstrom, kommunale Wärmeplanung sowie Flotten- und Quartierslösungen müssen nach vorne gebracht werden. Denn was für eine neue Fördersystematik zählt, ist der CO2-Ausstoß pro Quadratmeter Wohnfläche.“, so Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen.

Die jährlichen Kosten für die von der ARGE empfohlenen Energiespar-Sanierungen beziffert die Studie auf bis zu 150 Milliarden Euro pro Jahr – 3,6 Billionen Euro bis 2045. Dann nämlich soll Deutschland klimaneutral wohnen. Ohne zusätzliche grüne Energie fürs Heizen und für Strom wird das allerdings nicht gehen, so die ARGE. Und um die Energiespar-Offensive bei Altbauwohnungen überhaupt erst einmal anzustoßen, muss der Staat Anreize für die Modernisierung setzen: Mindestens 30 Milliarden Euro sind hierfür pro Jahr an Förderung notwendig, so die Empfehlung der Studie.

Würde die Politik die Energiespar-Messlatte noch höher legen, dann wären auch die Kosten und notwendige Förderungen dafür enorm viel höher: Um ein bestehendes Ein- oder Zweifamilienhaus auf das Niveau vom KfW-Effizienzhaus 115 zu bringen, nennt die Studie Kosten zwischen 660 und 1.070 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. Dagegen koste das Effizienzhaus 40 mindestens 50 Prozent mehr – in der Spitze sogar knapp 1.600 Euro pro Quadratmeter. Walberg spricht hier vom „falsch investierten Euro“. Grundsätzlich gelte: Im Neubau seien höhere Standards leichter zu erreichen als bei Altbauten.

Auch beim altersgerechten Umbau gebe es erheblichen Nachholbedarf: Nur jeder zwölfte Senioren-Haushalt lebe in einer Wohnung mit keinen oder nur wenigen Barrieren. Um mehr Wohnhäuser altengerecht zu modernisieren, müsse der Staat eine Förderung von 3 Milliarden Euro jährlich bieten – gegen eine wachsende „Graue Wohnungsnot“. Denn die werde spätestens dann zu einem drängenden Problem, wenn die Baby-Boomer-Generation in Rente gehe.

Die „Wohngebäude-Inventur“ der ARGE hat noch ein weiteres Ergebnis gebracht: Wenn mehr Klimaschutz und Seniorenwohnen kommen müssen, dann wird es auch mehr Häuser geben, bei denen es sich technisch oder wirtschaftlich nicht mehr lohnt, sie zu modernisieren. Nahezu jeder zehnte Altbau – überwiegend Häuser der Nachkriegszeit – müsste abgerissen und an gleicher Stelle durch einen Neubau ersetzt werden, so die Wissenschaftler. Allein beim Ersatzbau seien pro Jahr Investitionen von bis zu 40 Milliarden Euro notwendig.

Verbändebündnis Wohnungsbau fordert: Bezahlbare Wohnungen und bezahlbarer Klimaschutz

1. Klimaneutralität bezahlbar umsetzen

Mehr Neubau und energetische Modernisierungen sind erforderlich, um das Wohnen insbesondere in den Ballungsgebieten bezahlbar zu halten und die Klimaziele zu erreichen. Dies gilt mit Blick auf den Bedarf auch unter Berücksichtigung der weiteren Anforderungen der EU-Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden EPBD. Die Ergebnisse der ARGE-Studie zeigen klar: Mit einer zukünftigen Orientierung auf einen Energieeffizienzhaus-Standard von EEH 55 oder EEH 40 für den Neubau und von deutlich unter EEH 115 für den Wohnungsbestand sind ein wirtschaftlicher Aufwand aus Sicht der Investoren sowie eine Mietbelastung verbunden, die ohne ausreichende Förderungen nicht mehr zu stemmen sind.

Ein weiteres Verschärfen des Ordnungsrechtes in Bezug auf die Energieeffizienz im Neubau und Bestand ist daher nicht zielführend. Um unter Berücksichtigung knapper Finanzmittel und einer begrenzten Anzahl an Fachkräften dennoch die politische Zielsetzung eines nahezu klimaneutralen Wohngebäudebestandes umsetzen zu können, wird ein Optimum im Neubau beim EEH 70-Standard und in der Modernisierung des Bestandes beim EEH 115-Standard gesehen.

Der Weg zum klimaneutralen Bestand geht notwendigerweise über den intensivierten Ausbau der erneuerbaren Energie am Gebäude, Mieterstrom, eine kommunale Wärmeplanung und Flotten-/Quartierslösungen. Dieser Weg benötigt kurzfristig ein neues Ordnungsrecht und eine neue Fördersystematik mit Ausrichtung auf Treibhausgasemissionen pro Quadratmeter Wohnfläche. Ein Ordnungsrecht noch ausgelegt auf die alte Energieeffizienzförderung und eine neue Fördersystematik ausgerichtet auf Treibhausgaseinsparungen ist unbedingt zu vermeiden. Bis eine Fördersystematik festgelegt ist, schlagen wir eine verstärkte Nutzung der Experimentierklausel vor.

Um den Klimaschutz auch für die Mieter bezahlbar zu gestalten, werden jährlich 8 bis 14 Milliarden Euro an Fördermitteln für die sozial verträgliche Transformation der vermieteten Wohnungen benötigt.

2. Investitionsbedingungen verlässlich gestalten

Für die Herstellung der Baustoffe und die Erbringung der Bauleistungen werden Investitionen in Maschinen und Anlagen sowie Fachkräfte benötigt, deren Ausbildung zeit- und kostenintensiv ist. Von daher müssen die investiven Rahmenbedingungen für die Planer sowie die Bau- und Immobilienwirtschaft langfristig – besser in Dekaden als in Legislaturperioden – klar und verlässlich sein. Grundlage dafür ist eine planbare und langfristige Förderung der gesamten Prozesskette Bau bis zum Erreichen der gesetzten Klimaschutzziele. Für das Gelingen der Klimawende braucht es dringend mehr Architekten, Bauingenieure und Facharbeiter. Verstetigte Rahmenbedingungen schaffen auch eine gute Berufsperspektive in der Bauwirtschaft.

Es geht hierbei insbesondere um die sofortige Umsetzung von Maßnahmen, die bereits im Koalitionsvertrag ausgewiesen sind. So muss eine dem tatsächlichen Werteverzehr von Mehrfamilienhäusern angemessene Erhöhung der linearen Abschreibung von 2 auf 3 Prozent zeitnah erfolgen, um einen Attentismus bei Bauherren und Investoren zu vermeiden. In Regionen mit besonders angespannten Wohnungsmärkten wäre die Einführung zusätzlicher steuerlicher Anreize in Verbindung mit der Einhaltung von Mietobergrenzen zu prüfen.

3. Beim Neubau auch die Potenziale im Bestand nutzen

Wohnungen können neu gebaut oder im Bestand neu geschaffen werden. Die bedarfsgerechte Vergabe von kostengünstigen Bauflächen ist dabei eine zentrale Voraussetzung für das bezahlbare Bauen. Gleichzeitig gilt es, vorhandene Potenziale im Bestand zu nutzen. Daher sind die Möglichkeiten der Erweiterung mit Aufstockungen und Dachausbauten, der Nachverdichtung im Quartier und der Umwandlung von Büro- oder Gewerbeimmobilien in bezahlbaren Wohnraum in jeglicher Hinsicht zu fördern.

Das betrifft die steuerliche Anreizsetzung für derartige Maßnahmen im Bestand durch eine Erhöhung des Abschreibungssatzes ebenso wie eine verordnungs- und planungsrechtliche Förderung dieser Maßnahmen einschließlich der Gleichbehandlung eines wirtschaftlich sinnvollen Bestandsersatzes mit der klassischen Modernisierung. Modellrechnungen zeigen, dass allein eine Erhöhung der baulichen Dichte in Ballungszentren (z.B. die Anhebung der Geschoßflächenzahl GFZ von 1,0 auf 2,0) Mietpreissenkungen von 20 Prozent und mehr pro Quadratmeter ermöglichen. Außerdem trägt diese Maßnahme im Bestand auch maßgeblich zu einer Flächenverbrauchsreduzierung bei.

4. Mehr Sozialen Wohnungsbau fördern

Der Bestand an Sozialmietwohnungen sinkt seit Jahren kontinuierlich. Um deren Bestand sowie den Bedarf an bezahlbaren Wohnraum zu sichern, hat die Regierung das Ziel gesetzt, mindestens 100.000 neue Sozialwohnungen pro Jahr zur errichten. Im Schnitt der letzten Jahre wurden aber nur etwa 26.000 Sozialwohnungen neu gebaut. Es braucht umgehend einen Masterplan für den „Sozialen Wohnungsbau“ mit klaren Zielvorgaben und einer neuen, angemessen sozialen Wohnraumförderung.

Dabei muss es gelingen, in einem Mix aus Neubau, Modernisierung und dem Ankauf von Belegungsrechten bis zum Jahr 2030 wieder einen Zielbestand von mindestens 2 Millionen Sozialmietwohnungen abzusichern. Dafür sind bereits ab 2022 ausreichende Fördermittel bereitzustellen. Darüber hinaus sind im Neubau und Bestand umsetzbare energetische Standards erforderlich und verordnungsrechtlich zu untersetzen. Die notwendige Förderung der alters- und generationengerechten Anpassung der Wohnungsbestände darf nicht vergessen und sollte kombinierbar in neue Förderprogramme integriert werden.

5. Überfällige Digitalisierung, systematische Nutzung von Skaleneffekten in der Planung und mehr Kostenkontrolle bei Gesetzen, Normen und Planungen

Die auch im Koalitionsvertrag erwähnte notwendige Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren für den Wohnungsbau ist von erheblicher Bedeutung für die Erreichung der gesetzten Ziele. Dazu sind kurzfristig mehr Fachkräfte in den Bauämtern einzusetzen. Es braucht eine schnelle Digitalisierung der Bauämter sowie des gesamten Bauprozesses und eine bundesweite Nutzung von Typengenehmigungen für typisiertes und serielles Bauen.

Nur eine konsequente Durchführung und Berücksichtigung von Folgekostenabschätzungen in den Gesetzgebungs-, Normungs- und Bauplanungsprozessen kann die weitere Baukostensteigerung abbremsen. Diese Kernforderung des Bündnisses für bezahlbares Bauen und Wohnen ist nach wie vor nicht umgesetzt. Dazu gehört auch, dass ordnungsrechtliche Vorgaben technologieoffen gestaltet werden, um einen fairen Wettbewerb zu ermöglichen.

Weitere Informationen

Quelle: Pressemitteilung: Verbändebündnis Wohnungsbau / Aktion "Impulse für den Wohnungsbau"; Foto: Tobias Seifert

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