23.09.2022 - München
"Bei Tiny Houses wird wenig graue Energie durch Baumaterialien verbraucht. Die Materialien können gemäß dem Prinzip „Cradle to Cradle“ im Stoffkreislauf gehalten werden, es entsteht neuer Wohnraum ohne Flächenversiegelung", sagt Vorstandsmitglied Dipl.-Ing. (FH) Ralf Wulf. Warum und wo diese neue Wohnform jedoch oft auf Probleme stößt, erfahren Sie in unserer aktuellen Kolumne in der Bayerischen Staatszeitung.
In Deutschland gibt es seit Jahren Diskussionen bezüglich
der zunehmenden Versiegelung des Bodens und des permanent hohen
Flächenverbrauchs (laut Wikipedia täglich rund 60 Hektar). Vielerorts wird
deshalb gegen die Ausweisung von neuen Gewerbegebieten opponiert und der
befestigte Supermarktparkplatz kritisiert.
Wenn man sich aber vor Augen führt, dass sich die pro Person genutzte Wohnfläche von 15 m² in den 50er Jahren auf über 47 m² im Jahr 2020 mehr als verdreifacht hat (Tendenz gemäß Prognosen weiter deutlich steigend), macht es Sinn, sich mit dem Trend „Tiny Houses“ auseinanderzusetzen.
Video-Statement von Dipl.-Ing. (FH) Ralf Wulf
Für diese Wohnform sollten aber nicht zwingend neue Areale gesucht werden. Viel besser wäre es, im vorhandenen Siedlungsgebiet nachzuverdichten. Das heißt, ein Tiny House anstelle eines vorhandenen Parkplatzes, auf einer Industriebrache, in einem Hinter- oder Innenhof, im (viel zu großen) Garten eines Wohnhauses oder einer Villa.
Für wen kommt das Leben im „Tiny“ - auf gemäß aktuell gebräuchlicher Definition von 10 bis 55 m² - denn in Frage?
Muss der eigene Nachwuchs für Studium oder Ausbildung schon in die Stadtwohnung, wenn er mit dem mobilen Tiny sogar die Möglichkeit hat, mit den eigenen vier Wänden den Studienort zu wechseln? Kann ich länger im eigenen Haus bleiben und die benötigte Pflegeperson im Garten unterbringen, wenn ich Sie nicht in der Wohnung haben möchte? Ziehe ich selbst um ins barrierefreie Tiny, habe weniger Fläche zu bewirtschaften, bleibe in meinem gewohnten Wohnumfeld und habe zusätzlich noch Anschluss zu der jungen Familie mit Kindern, die jetzt in meiner alten Wohnung lebt? Hier gibt es viele mögliche Ansätze.
Auch wenn das nicht die Regel sein wird, so hat das Tiny House in jedem Fall einen geringen Primärenergiebedarf. Es wird wenig graue Energie durch Baumaterialien verbraucht, die Materialien können gemäß dem Prinzip „Cradle to Cradle“ im Stoffkreislauf gehalten werden und es entsteht neuer Wohnraum ohne Flächenversiegelung. Da im herkömmlichen Wohnungsbau die Grundstückspreise ein extremer Kostentreiber sind, ist dies auch ein wichtiger sozialer Aspekt.
Weil Tiny Houses keine Immobilien, sondern "Mobilien” sind, muss gegebenenfalls bei jedem Ortswechsel erneut eine Baugenehmigung eingeholt werden. Aufwand und Kosten sind hier unverhältnismäßig hoch und erschweren Tiny Living unnötig. Der Artikel 57 Abs. 1 Nr. 1a der Bayerischen Bauordnung stellt zumindest für Tiny Houses unter 75m³ Raumvolumen eine Möglichkeit der schnellen und unbürokratischen Realisierung dar. Nichtsdestotrotz brauchen mobile Kleinwohnformen, die keinen Boden versiegeln, angepasste Regeln.
Die hier aufgeworfenen Fragen gehen in die gleiche Richtung wie die, die im Juli dieses Jahres in einem Fachgespräch im Ausschuss für Wohnen, Bauen und Verkehr im bayerischen Landtag diskutiert wurden. Wegen der Forderung für mehr Gestaltungsfreiheit für einfaches Bauen hat die Bayerische Architektenkammer gemeinsam mit unserer Bayerischen Ingenieurekammer-Bau eine Initiative für eine Gebäudeklasse „E“ („Experimentelles Bauen“) gestartet, die in der Fachwelt und der Politik auf großes Interesse gestoßen ist. Es wäre sinnvoll, die offenen Regelungsfragen bei den „Tiny Houses“ hierbei mit anzugehen.
Wer sich über das Thema Tiny Living ausführlicher informieren möchte, dem empfehle ich, auf https://tinypopup.de zu klicken. Dort gibt es detaillierte Infos und Bilder von einem Pilotprojekt, das nach einer längeren Standzeit auf einem ehemaligen Bahngelände in München-Pasing jetzt in Pullach eine neue Heimat gefunden hat. Dieses Tiny House kann im Rahmen einer Regionaltour der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau am 19. Oktober besichtigt werden. Intensiver Austausch mit den Erbauern und einem StartUp, das sich für Kreislaufdenken im Sanitärbereich einsetzt, inklusive.
Kolumne von Dipl.-Ing. (FH) Ralf Wulf, Vorstandsmitglied der
Bayerischen Ingenieurekammer-Bau, veröffentlicht in der Bayerischen
Staatszeitung vom 23.09.2022
Kolumne in der Bayerischen Staatszeitung
Die Bayerische Ingenieurekammer veröffentlicht einmal im Monat eine Kolumne zu aktuellen Themen in der Bayerischen Staatszeitung. Hier nehmen die Mitglieder des Vorstands der Kammer Stellung zu Themen aus Bauwesen, Politik und Gesellschaft.
Hier haben wir Ihnen alle Kolumnen zum Lesen oder als Download bereitgestellt.
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