21.04.2023 - München
Dem verheerenden Erdbeben in der Türkei und Syrien widmet sich Kammerpräsident Prof. Dr. Norbert Gebbeken in der bayerischen Staatszeitung. In seiner Kolumne stellt er sich der Frage, wie so eine Katastrophe in einem technologisch und wirtschaftlich prosperierenden Europa möglich ist und ob so etwas auch in Deutschland passieren könnte.
Nach dem Erdbeben in Mittelitalien vom 24. August 2016 mit 299 Toten müssen wir nun ein weiteres verheerendes Erdbeben in Europa zur Kenntnis nehmen; das Erdbeben in der Türkei vom 6. Februar 2023 mit über 55 000 Toten, mehr als 130 000 Verletzten und einem sächlichen Schaden an der baulichen Infrastruktur von vermutlich 240 Milliarden Euro. Das andauernde menschliche Leid und die posttraumatischen Belastungsstörungen können heute noch gar nicht ermessen werden. Und wir fragen uns, wie so eine Katastrophe in einem technologisch und wirtschaftlich prosperierenden Europa möglich ist.
Die Türkei hat in Forschung und Praxis hervorragende Erdbebenspezialisten, eine Erdbebennorm auf dem neuesten Stand der Technik. Die Geophysiker in der Türkei haben die Gefahrenzonen identifiziert und immer wieder auf bevorstehende Erdbeben hingewiesen. Seit 2010 hatten sich in der Türkei bereits neun stärkere Erdbeben mit rund 900 Toten ereignet. Nach dem jüngsten Erdbeben wurden inzwischen etwa 200 „Bauunternehmer“ wegen „Pfusch am Bau“ und „Korruption“ verhaftet. Offensichtlich funktioniert die Kontrolle am Bau in der Türkei in zu großem Ausmaß nicht.
Journalisten fragten im Zuge der Berichterstattungen, ob so etwas auch in Deutschland möglich ist und viele besorgte Bürgerinnen und Bürger stellten sich ebenso diese Frage und kontaktierten zum Beispiel das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Aufgrund von statistischen Daten zu Bauwerkseinstürzen können wir sagen, dass die Gebäude in Deutschland sicher sind. Deutschland hat mit der Schweiz die sicherste bauliche Infrastruktur der Welt. Wie kommt es dazu? Das liegt vor allem an unseren Bauordnungen und daran, wie sie umgesetzt werden.
Unabhängige Überwachung
Zusätzlich überwachen Architektinnen und Architekten, Tragwerksplanende und Bauleitende ihre zu erbringenden Leistungen. Für Sonderbauten hat sich die hoheitliche Prüfung durch den Prüfingenieur beziehungsweise Prüfsachverständigen in Deutschland im Hinblick auf eine erfolgreiche Gefahrenabwehr bewährt, wie die Statistiken zeigen. Architektinnen und Architekten, Tragwerksplanende und unabhängig Prüfende sind Freiberufler.
Die Freien Berufe erbringen persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Dienstleistungen höherer Art im Interesse der Allgemeinheit und der Auftraggeber. Freiberuflich Tätige sind nicht gewerblich tätig, sie beraten und agieren unabhängig von Produkt- und Lieferinteressen. Zusätzlich werden Prüfingenieure von den zuständigen Länderministerien geprüft, anerkannt und überwacht. Für die Abrechnungen gibt es eine transparente Gebührenordnung (PrüfVBau). Die Abrechnungen erfolgen über eine Behörde oder über eine Abrechnungsstelle.
Korruption kostet Menschenleben
Hoheitlich tätige Prüfingenieure haben ein Vertragsverhältnis mit der unteren Bauaufsichtsbehörde, nicht mit der Bauherrschaft. Dadurch entsteht eine klare Unabhängigkeit von den sonst noch am Bau Beteiligten. Diese administrative Konstruktion der Bauüberwachung führt dazu, dass wir in Deutschland sehr sicher bauen.
Wir haben uns dazu verpflichtet, die Gefahr für Leben und körperliche
Unversehrtheit abzuwenden (MBO, LBO, GG Art. 2 Satz (2)). Und das
gelingt uns in Deutschland sehr gut in Bezug auf die bauliche
Infrastruktur.
Korruption kostet im schlimmsten Fall Menschenleben. Es muss sichergestellt werden, dass die fast zehn Milliarden Euro der Geberländer vor Ort auch wirklich zu baulicher Sicherheit und Resilienz führen.
Es ist inakzeptabel, dass in Europa derartige Katastrophen passieren,
die vermeidbar wären. Ich sehe hier das Europäische Parlament, die
Europäische Kommission und den Europäischen Rat in der Pflicht, ihre
Mitmenschen in den Mitgliedsländern zu schützen. Man darf sich nach
einer derartigen Katastrophe nicht darauf berufen, dass Sicherheit eine
nationalstaatliche Aufgabe ist; nicht nach dem Tod von mehr als 55 000
Menschen bei nur einer Katastrophe. Diese Menschen hätten nicht sterben
müssen.
Kolumne von Prof. Dr. Norbert Gebbeken, Präsident der Bayerischen
Ingenieurekammer-Bau, veröffentlicht in der Bayerischen Staatszeitung
vom 21.04.2023
Kolumne zum Download
Die Bayerische Ingenieurekammer veröffentlicht einmal im Monat eine Kolumne zu aktuellen Themen in der Bayerischen Staatszeitung. Hier nehmen die Mitglieder des Vorstands der Kammer Stellung zu Themen aus Bauwesen, Politik und Gesellschaft.
Hier haben wir Ihnen alle Kolumnen zum Lesen oder als Download bereitgestellt.
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