05.05.2023 - München
Glas, Papier und Kunststoff wiederzuverwerten, das ist in deutschen Haushalten seit Jahrzehnten etabliert. Anders in der Baubranche: Wird ein Gebäude abgerissen, landen die Bestandteile größtenteils auf der Deponie oder als minderwertiges Füllmaterial im Straßenbau – eine riesengroße Verschwendung. Die GWG München hat für ihr Entwicklungsgebiet im Münchner Stadtteil Ramersdorf jetzt das Umweltberatungsinstitut EPEA ins Boot geholt, um sämtliche Materialien und Baustoffe zu katalogisieren, deren Wiederverwertbarkeit zu prüfen und damit Rohstoffmangel und steigenden Energie- und Baupreisen entgegenzuwirken.
„Aufgrund der Gebäudesubstanz ist eine Sanierung der Immobilien nicht möglich“, sagt Rositsa Doneva, Teamleiterin Klimaschutz der GWG Städtische Wohnungsgesellschaft München mbH. „Zudem wollen wir mehr Wohnfläche schaffen und in den nächsten Jahren insgesamt 900 Wohnungen bauen. Die alten Häuser müssen daher modernen und energetisch optimierten Gebäuden weichen.“ Um aber möglichst viele Rohstoffe aus dem Bestand zu retten, setzt die GWG auf eine umfassende Stoffstromanalyse. Stark vereinfacht geht es dabei um den Weg eines Stoffes von seiner Gewinnung über seine Verarbeitung bis hin zu seiner Wiederverwertung oder Entsorgung.
„Durch die Stoffstromanalyse können wir überhaupt erst abschätzen, welche Bauteile wir in unseren eigenen Neubauvorhaben wieder einsetzen können, welche Materialien sich für eine Baustoffbörse eignen oder ob sogar eine Hersteller-Rücknahme sinnvoll ist“, so Doneva weiter.
Entwickelt wurde die Stoffstromanalyse von Andrea Heil und Matthias Heinrich, die kreislauffähiges Bauen und Urban Mining bei EPEA, einer Tochter der in Stuttgart ansässigen Bauberatung Drees & Sommer SE, vorantreiben. Dabei handelt es sich um einen noch relativ jungen Begriff in der Abfallwirtschaft, der aber schon bald ein neues Zeitalter einläuten könnte: „Wir brauchen einen Paradigmenwechsel – weg von der Einweg- und Abfallwirtschaft hin zur Kreislaufwirtschaft“, so Heinrich.
Im Rahmen der Analyse hat das Team für die GWG Türrahmen, Fensterglas, Metall, Holz und sogar alte Müllhäuschen katalogisiert und Möglichkeiten zur Weiterverwendung aufgezeigt. „Die Baubranche verschlingt hierzulande etwa 90 Prozent der geförderten mineralischen Rohstoffe und verursacht gleichzeitig mehr als die Hälfte des Abfallaufkommens. Wertvolle Materialien landen bei Umbau oder Abriss auf dem Müll, während bei Neubauvorhaben teilweise dieselben Materialien teuer bezahlt werden.“ Das will die GWG nun ändern.
Grundsätzliche Erkenntnisse aus der Stoffstromanalyse: „Sofern sie keine Schadstoffe enthalten, lassen sich beinahe alle Baustoffe wiederverwenden oder zumindest höherwertig recyceln. Zudem zeigt die Analyse mögliche Verwertungswege für die vorhandenen Bauteile auf“, erklärt Andrea Heil.
„Nehmen wir zum Beispiel die Fenster“, führt Rositsa Doneva aus. „Davon haben wir insgesamt 147. Sofern sie den aktuellen energetischen Anforderungen entsprechen, könnten wir sie ohne Probleme nach der Sanierung erneut einsetzen. Falls nicht, können sie immer noch ein zweites Leben bekommen – etwa als Trennwände im Innenbereich oder bei Gewächshäusern.“
Auch eine ausgefallenere Nutzung ist denkbar, wenn man sich beispielsweise die ehemaligen Kellerfenstergitter der Augsburger Stadtbücherei als Vorbild nimmt. Sie dienen heute als Startrampen einer Mountainbike-Strecke am Bodensee. Neben Fenstern sind auch Türen, Dachziegel oder Treppengeländer oftmals viel zu schade für den Bauschuttcontainer und besser auf Baustoffbörsen aufgehoben, wo sie schnell und unkompliziert neue Besitzer finden können.
Das Recycling von Baumaterial ist nicht ein Vorteil für die Umwelt, weil es den CO2-Ausstoß und den Ressourceneinsatz reduziert. Außerdem spart die Weiterverwendung auch Kosten, denn Bauschutt wird immer teurer. Die Entsorgung eines fünf Kubikmeter großen Containers mit gemischtem Bauschutt kostet bis zu 400 Euro. Ein Weiterverkauf bringt dagegen Geld ein. Im Durchschnitt erzielen Dachziegel 50 Cent pro Stück. Aufbereiteter Betonbruch schlägt mit 8,50 Euro pro Kubikmeter zu Buche. Ein Kilogramm Stahlschrott ist etwa 20 bis 30 Cent wert.
Hochgerechnet auf die Rohstoffsubtanz der gesamten Bundesrepublik summiert sich die Rohstoffmenge in Gebäuden, Tiefbau und Straßen auf stolze 29 Milliarden Tonnen – ein wertvolles Materialvorkommen für die Zukunft, das außerdem noch unabhängiger von Importen aus Drittstaaten macht. Hinzu kommt: „Die Materialien sind in einem viel brauchbareren Zustand“, sagt Matthias Heinrich. „Man muss nicht erst das Erz aus einer Mine weiterverarbeiten, sondern hat direkt das fertige Produkt“. Aber ganz so einfach gibt die urbane Mine ihre Rohstoffschätze nicht frei.
Gerade bei älteren Gebäuden ist es oft mühselig, alle relevanten Daten zusammenzusuchen. „In der Regel kommt man nicht umhin, sich alles ganz genau vor Ort anzuschauen. Es gibt Fälle, in denen muss auch stichprobenartig ein Loch in die Wand gebohrt werden, um zu prüfen, was wirklich dahinter ist“, so Heinrich. In Zukunft soll hier ein digitaler Ressourcenpass Abhilfe schaffen, eine Art Klimaführerschein fürs Gebäude. Darin soll genau dokumentiert werden, welche Produkte und Materialien eingesetzt werden, wie groß ihr ökologischer Fußabdruck ist und welchen Wert sie haben.
Die Kreislaufspezialist:innen von EPEA erstellen bereits seit mehreren Jahren solche Ausweise für Neubauten: Das Bürogebäude The Cradle in Düsseldorf, das Wohnhochhaus Moringa in Hamburg und die neue Drees & Sommer-Firmenzentrale, OWP 12 genannt, sind – wenn es irgendwann zum Umbau oder Abriss kommt – bereits ausgewiesen wiederverwertbar.
Auch für die GWG wird es einen Praxis-Leitfaden geben, der neben dem Urban Mining auch kreislauffähige Konzepte für den Neubau beinhaltet. "Unser Anspruch ist, dass der Gebäuderessourcenpass nicht eine Formalie gegenüber Behörden und Banken wird, sondern einer lebenszyklusorientierten und ressourcenschonenden Bewirtschaftung dienen kann", sagt Rositsa Doneva.
Noch ist ein solcher Materialpass nicht verpflichtend, aber die geplante Regulierung wird die Branche irgendwann zur Kreislauffähigkeit zwingen. „Besser früher als später“, findet Matthias Heinrich. „Da der Rohstoffhunger und der CO2-Ausstoß in Deutschland weltweit im obersten Viertel aller Länder liegen, haben wir hierzulande bereits am 4. Mai 2023 so viele Ressourcen verbraucht, wie die Erde im gesamten Jahr regenerieren kann. Die Kosten für diesen Kredit auf die Zukunft müssen die folgenden Generationen bezahlen, umso mehr, je länger gezögert wird, klimafreundliche Entscheidungen zu treffen.“
Ressourcen sparen, CO2-Ausstoß senken, klimaneutral werden – das sind seiner Ansicht nach die wichtigsten Aufgaben der Branche für die Zukunft. Umso wichtiger seien Projekte wie die der GWG, um Schule zu machen.
Quelle und Foto: Drees & Sommer
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