27.07.2023 - München
Der 16. Juni 2023 markiert eine Zeitenwende für die planenden Berufe. An diesem Tag hat der Bundesrat die Streichung des §3 Absatz 7 Satz 2 VgV beschlossen. Wir haben mit Dr.-Ing. Werner Weigl, 2. Vizepräsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau und Vorsitzender des Arbeitskreises Vergabe der Bundesingenieurkammer, über die Konsequenzen und mögliche Lösungsansätze gesprochen.
Hinter der bürokratischen Bezeichnung „§3 Absatz 7 Satz 2 VgV“ verbirgt sich ein Paragraf, der für Vergabeverfahren von größter Relevanz ist. Konkret geht es um die Frage, ab welcher Summe eine Planungsleistung europaweit ausgeschrieben werden muss. Die Entscheidung des Bundesrats vom Juni führt aller Voraussicht nach dazu, dass künftig Auftragswerte für Planungsleistungen verschiedener Couleur, z.B. Tragwerksplanung und Haustechnik, zusammengezählt werden müssen – womit der Schwellenwert deutlich früher erreicht ist.
Indes: einen kleinen Lichtblick gibt es noch. Um die Folgen der Neuregelung abzufedern und Rechtssicherheit zu schaffen, soll die (Stand Ende Juli noch ausstehende) Veröffentlichung des Bundesratsentscheids im Bundesgesetzblatt um Handlungsempfehlungen ergänzt werden. Vorschläge für diese Handlungsempfehlungen wurden bereits von der Bundesingenieurkammer an das Bundeswirtschaftsministerium übermittelt, welches die Federführung in dieser Angelegenheit hat.
Dr.-Ing. Werner Weigl, 2. Vizepräsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau und Vorsitzender des Arbeitskreises Vergabe der Bundesingenieurkammer erklärt im Interview, was konkret die Ingenieurkammern unternommen haben.
Herr Dr. Weigl, haben Sie die Entscheidung des Bundestags und des Bundesrates so erwartet?
Seit die Europäische Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland angestoßen hat, hatten wir die Sorge, dass die Regierung eine Regelung verabschieden könnte, die ihr weitere Diskussionen mit der Kommission erspart, in der Sache aber höchst problematisch ist. Das konnten wir auch einigen Abgeordneten klar machen.
Unsere vielen Gespräche auf politischer Ebene in den vergangenen Monaten haben dazu beigetragen, dass Bayern im November 2022 einen Entschließungsantrag an die Bundesregierung gestellt hat, in welchem auf die Notwendigkeit der Beibehaltung von § 3 Abs. 7 Satz 2 VgV hingewiesen wurde. Und wir haben alternative Lösungsansätze aufgezeigt.
Welche Lösungsansätze waren das?
Ideal wäre aus unserer Sicht gewesen, die bisherige Vergabepraxis beizubehalten und die Entscheidung vor dem Europäischen Gerichtshof zu suchen.
Eine andere Option wäre gewesen, den derzeitigen Schwellenwert von derzeit 215.000 Euro auf einen dem Schwellenwert für Bauvergaben korrespondierenden Wert in Höhe auf mindestens einer Million Euro anzuheben.
Die Einordnung der Ingenieurdienstleistungen in den Schwellenwert für Besondere Dienstleistungen wäre eine weitere Möglichkeit gewesen. In diese Kategorie fallen z.B. Rechtsanwälte. Hier liegt der Schwellenwert bei 750.000 Euro.
Wie ging es weiter?
Leider haben Bundestag und Bundesrat am Ende trotz eines Plenarantrages aus Bayern und anderen Bundesländern der Streichung des §3 Abs. 7 Satz 2 VgV zugestimmt. Derzeit erwarten wir die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt.
Kammern und Verbände des Bauwesens sowie die kommunalen Spitzenverbände hoffen nun auf klarstellende Handlungsanweisungen zeitgleich mit der Veröffentlichung. Kernidee ist dabei – wie in der Begründung der Verordnung bereits aufgezeigt – Bauvorhaben insgesamt zu betrachten, also Planung und Bau, und sie mit dem Schwellenwert für Bauleistungen in Höhe von ca. 5,4 Millionen Euro zu vergleichen. Damit wäre sichergestellt, dass nach wie vor für Planungsleistungen bei kleinen Bauvorhaben keine europaweiten Ausschreibungen notwendig wären.
Der Arbeitskreis Vergabe der Bundesingenieurkammer hat hierzu in kürzester Zeit in mehreren Sitzungen einen Denkansatz erarbeitet und an das Bundesministerium übermittelt.
Warum wäre eine europaweite Ausschreibung denn so fatal?
Beim Zusammenzählen aller Planungsleistungen wären für Bauvorhaben ab ca. 1,2 Millionen Euro bereits europaweite Ausschreibungen für jede einzelne Planungsleistung zwingend notwendig – und das mit Honoraren, die zum Teil unter 50.000 Euro liegen. Fatal für Auftraggeber und Auftragnehmer! Denn der Aufwand für die Vergabeverfahren wäre angesichts der zu erwartenden Auftragssummen unwirtschaftlich und für Auftraggeber personell nicht zu stemmen.
Auf der anderen Seite wäre ein Ausweichen auf Generalplaner- oder Totalunternehmervergabe ebenso fatal für die klein- und mittelständisch geprägte Planungslandschaft in Deutschland.
Herr Dr. Weigl, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sonja Amtmann, Pressereferentin der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau.
Foto: Tobias Hase
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