20.03.2024 - Berlin
Der Verband Beratender Ingenieure (VBI) setzt ein klares Zeichen für Nachhaltigkeit im Vergabeverfahren. In seinem jüngsten Positionspapier widmet sich der VBI der Frage, wie wir Planungsleistungen nachhaltiger gestalten können. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Bewertung des CO₂-Schattenpreises als mögliches Vergabekriterium.
Das Positionspapier unterstreicht die Notwendigkeit, differenzierte Ansätze im Vergabeverfahren zu verfolgen, die sowohl den spezifischen Charakteristiken von Planungsleistungen als auch den operativen Gegebenheiten von Ausführungsarbeiten gerecht werden. In Zeiten globaler Klimaherausforderungen unterstreicht der VBI mit diesem Positionspapier die Notwendigkeit, Nachhaltigkeitskriterien fest in Vergabeprozesse zu integrieren.
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VBI-Positionspapier zur Zielsetzung einer gesteigerten Nachhaltigkeit in Vergabeverfahren
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom April 2021 verpflichtet Deutschland zu einer ambitionierteren Klimapolitik. Für das Erreichen dieser Zielvorgaben existieren im Bausektor bereits einige gute Lösungen, diese werden jedoch noch zu selten umgesetzt. Wenn die Klimaziele nicht erreicht werden, sind strengere gesetzliche Vorschriften für den Bausektor zu befürchten.
Die Vergabepraxis bei öffentlichen Bauprojekten und anderen Aufträgen kann ein wichtiger Hebel sein, um diese Ziele zu erreichen. Durch die Festlegung von Nachhaltigkeitskriterien in Ausschreibungen kann der Staat den Markt in Richtung klimafreundlicher Lösungen lenken und somit einen wesentlichen Beitrag zum Erreichen der Klimaziele leisten. Aktuell erfolgen Vergabeverfahren allerdings fast ausschließlich auf Basis des Preises und Aspekte des Klimaschutzes finden kaum Beachtung.
Vor diesem Hintergrund hat der Hauptverband der Bauindustrie in Zusammenarbeit mit KPMG ein Gutachten erstellt, um die Handlungsmöglichkeiten für eine klimaverträgliche öffentliche Beschaffung zu bewerten und eine alternative Vergabepraxis vorzuschlagen. Das Impulspapier „Klimaverträglich Bauen mit einem Schattenpreis für CO₂-Emissionen“ kommt zu dem Ergebnis, dass Klimaschutz ein verbindliches Ziel bei der Planung und Beschaffung von Bauleistungen werden muss. Die Autoren schlagen vor, als Zuschlagskriterium nicht, wie bisher üblich, den Angebotspreis, sondern einen Wertungspreis zu verwenden. Dieser Wertungspreis setzt sich aus dem Angebotspreis und einem sogenannten CO₂-Schattenpreis zusammen. Der Schattenpreis wiederum wird berechnet, indem zuerst die Treibhausgasemissionen des Bauwerks ermittelt und dann mit den Klimafolgekosten (in Euro pro Tonne CO₂ Äquivalent) multipliziert werden. Die Treibhausgasemissionen werden dabei durch eine umfängliche Ökobilanzierung über den gesamten Lebenszyklus des Bauwerks bestimmt.
Ein Schattenpreis ist ein theoretischer Preis, der in ökonomischen Modellen verwendet wird, um den Wert eines Gutes oder einer Ressource darzustellen, für das kein Marktpreis existiert. Im Kontext von CO₂ bezieht sich der Schattenpreis auf den hypothetischen Preis von Kohlenstoffdioxidemissionen, wenn diese effizient in einem Markt gehandelt würden. Der CO₂-Schattenpreis spiegelt im Wesentlichen die gesellschaftlichen Kosten von CO₂-Emissionen wider, also die negativen Auswirkungen des Klimawandels, die durch die Emissionen verursacht werden.
Im Rahmen von Vergabeverfahren und Ausschreibungen kann der CO₂-Schattenpreis dazu dienen, die Klimafreundlichkeit von Bauprojekten zu bewerten und zu vergleichen. Bauwerke, die weniger CO₂-Emissionen über ihren Lebenszyklus hinweg verursachen, würden bei der Vergabe von Aufträgen bevorzugt, wenn der CO₂-Schattenpreis als Bewertungskriterium herangezogen wird. Dadurch können Anreize für nachhaltiges Bauen und die Entwicklung klimafreundlicher Bautechnologien geschaffen werden. Die Lebenszyklusanalyse kann also ein entscheidendes Argument für höhere Anfangsinvestitionen in nachhaltigen Bauvorhaben durch nachweislich geringere Betriebs-, Instandhaltungs- und Folgekosten sein.
Die Anwendung eines CO₂-Schattenpreises setzt allerdings voraus, dass eine präzise Lebenszyklusanalyse durchgeführt werden kann, die sämtliche Emissionen eines Bauwerks von der Errichtung bis zum Abriss berücksichtigt. Wenn ein Bauvorhaben sich allerdings noch in der konzeptionellen Phase befindet und noch keine detaillierten Planungen vorliegen, ist es herausfordernd bis unmöglich, die zukünftigen CO₂-Emissionen genau zu bestimmen. In solchen Fällen ist der CO₂-Schattenpreis nur bedingt als Vergabekriterium einsetzbar, weil die benötigten Daten für eine fundierte Berechnung fehlen.
Eine weitere Herausforderung besteht darin, den CO₂-Preis so festzulegen, dass eine signifikante Lenkungswirkung erzielt wird, ohne die Grundprinzipien der Vergabe, insbesondere das Gebot der Wirtschaftlichkeit, zu untergraben. Ein angemessen hoher CO2-Preis kann Innovationen und technologische Entwicklungen anregen, die zu effizienteren und nachhaltigeren Bauverfahren führen. Auf die Fragen der Angemessenheit und Wirksamkeit wird man allerdings nur schwer eine einheitliche Antwort für alle Bauvorhaben des Hoch-, Tief- und Infrastrukturbaus finden. Es besteht die Gefahr, dass durch einen zu hohen Preis die Baukosten künstlich in die Höhe getrieben werden, während ein zu niedriger Preis möglicherweise keine ausreichende Lenkungswirkung entfaltet. Ein signifikanter CO₂-Schattenpreis könnte den Wettbewerb also verzerren, wenn die Treibhausemissionen als einzig relevante Metrik beachtet werden. Andere wichtigen Faktoren der Angebote, in Bezug auf Qualität und Innovationsfähigkeit könnten dadurch in den Hintergrund treten.
Ein Schattenpreis kann zwar ein nützliches Instrument sein, um Unternehmen hinsichtlich ihrer Bauausführung und -materialien zu bewerten, doch bei Planern, Ingenieuren und Architekten sind die Herausforderungen anders gelagert. Ihre Arbeit ist konzeptionell und oft innovativ, was bedeutet, dass der Wert ihrer Lösungen nicht immer direkt in CO₂-Emissionen oder Einsparungen quantifiziert werden kann. Der Schattenpreis kann daher nicht das alleinige Kriterium sein, da er die kreativen und funktionalen Aspekte der Entwurfsarbeit nicht vollständig erfassen kann. Stattdessen sollten qualitative Bewertungen von Nachhaltigkeitsstrategien und -entwürfen herangezogen werden, um das ganzheitliche Potenzial für Nachhaltigkeit in der Planungsphase zu erkennen und zu fördern.
Eignungskriterien:
Die Integration von Nachhaltigkeitskriterien in den Vergabeprozess eines Bauprojekts bereits bei den Eignungskriterien ermöglicht es, frühzeitig die Weichen für ein umweltfreundliches und sozial verantwortliches Bauvorhaben zu stellen. Starre Eignungskriterien, insbesondere bei Referenzprojekten, können dazu führen, dass viele qualifizierte Planungsunternehmen, die relevante Erfahrungen und Kompetenzen besitzen, von vornherein ausgeschlossen werden. Flexiblere Kriterien ermöglichen es mehr Unternehmen, ihre Eignung nachzuweisen, und erweitern somit den Pool potenzieller Kandidaten.
Architektur- und Ingenieurbüros, die in der Vergangenheit innovative Lösungen für ähnliche, aber nicht identische Herausforderungen entwickelt haben, können frische Perspektiven und Ansätze in ein neues Projekt einbringen. Eine zu enge Definition von Referenzprojekten könnte solche innovativen Anbieter ausschließen. Ein großzügigerer Zeitraum für Referenzprojekte berücksichtigt die Entwicklung und das Wachstum von Planungsbüros.
Planungsunternehmen spezialisieren sich oft auf bestimmte Aspekte des Bauens oder haben Erfahrungen in speziellen Sektoren gesammelt. Ein flexibler Ansatz bei der Bewertung von Referenzen ermöglicht es, diese diversen Expertisen zu erkennen und zu nutzen, selbst wenn die Projekte nicht exakt dem neuen Auftrag entsprechen.
Zuschlagskriterien:
Ein klassisches Vergabeverfahren kann zu guten Ergebnissen im Hinblick auf Nachhaltigkeit führen, wenn der Auftraggeber klare, messbare und durchführbare Nachhaltigkeitsanforderungen stellt. Solche Vorgaben können als feste Kriterien in die Ausschreibung einfließen, die die Planer erfüllen müssen. Dies schafft eine transparente und zielorientierte Basis für die Vergabeentscheidung.
Planungsbüros können Auftraggeber hier frühzeitig unterstützen. In einem vorgelagerten Prozess oder einer Reihe von Workshops können Auftraggeber und Planer zusammen Parameter erarbeiten, um eine möglichst zielführende Vergabe zu gewährleisten. Durch die Zusammenarbeit mit den Planern werden schon zu Beginn die Weichen gestellt, um ein Projekt mit einer klaren Leistungsbeschreibung zu vergeben, welches auch wirklich den Wünschen und Vorstellungen des Auftraggebers entspricht.
Bei dieser frühzeitigen Beratung können die Definition des Projektkonzepts, die Klärung der Projektziele und die strategische Planung erarbeitet werden. Zusätzlich können öffentliche Auftraggeber im Vorfeld eine genaue Bedarfsanalyse durchführen, welche auch zukünftige Anforderungen berücksichtigt. Dabei werden die Ziele im Hinblick auf Nachhaltigkeit definiert, wie zum Beispiel Energieeffizienz, Nutzung erneuerbarer Energien, Wassermanagement oder Materialauswahl. Die anfänglichen Kosten für diese Beratungsleistungen werden oft durch die Einsparungen und den Mehrwert, der durch eine fundierte Planung und Risikominimierung erzielt wird, mehr als ausgeglichen.
Auftraggeber haben auch die Möglichkeit der Orientierung an etablierten Zertifizierungssystemen wie DGNB, LEED oder BREEAM. Diese können als Leitfaden für die Festlegung von Nachhaltigkeitskriterien dienen. Dadurch können öffentliche Auftraggeber ein klares Verständnis dafür entwickeln, welche spezifischen Nachhaltigkeitskriterien sie für ihr Bauvorhaben festlegen möchten, und diese in die Ausschreibungsunterlagen aufnehmen.
Nach der Vergabe:
Teilweise ändern Bauherren, insbesondere aus Kostengründen, während der Planungsphase die Parameter des Projekts. Dies kann dazu führen, dass auch Aspekte der Nachhaltigkeit nachträglich eingeschränkt oder ganz zurückgestellt werden. Dies ist auch rechtlich legitim, nach dem einseitigen Anordnungsrecht des Bestellers (§ 650b des BGB). Es gilt allerdings zu beachten, dass wesentliche Änderungen eines öffentlichen Auftrags während der Vertragslaufzeit ein neues Vergabeverfahren erfordern (§ 132 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen).
Umwelt und Klima ist dabei in jedem Fall nicht geholfen. Eine Abkehr von nachhaltigen Projektaspekten während des Planungsprozesses kann zu Frustration der beteiligten Partner und zu Mehrkosten führen. Es ist daher sinnvoll bei den ursprünglichen Zielen der Vergabe zu bleiben, wenn sich dies wirtschaftlich für den Auftraggeber darstellen lässt. Obwohl nachhaltige Bauprojekte anfänglich höhere Investitionskosten verursachen können, führen sie oft langfristig zu Einsparungen durch geringere Betriebs- und Instandhaltungskosten.
Der Klimawandel und seine Auswirkungen erfordern einen Paradigmenwechsel in der Art und Weise, wie Gebäude und Infrastrukturen geplant, gebaut und betrieben werden. Sie bieten jedoch auch eine einzigartige Gelegenheit, durch innovative und vorausschauende Planung eine bessere Zukunft zu gestalten. Für Planungsunternehmen ist es unumgänglich, Fachkenntnisse in nachhaltiger Beratung kontinuierlich weiterzuentwickeln und in ihrer gesamten Arbeit umzusetzen. Bei Aufrechterhaltung der Trennung von Planung und Bauausführung kann auch eine frühe Einbindung des Know-hows der Bauindustrie sinnvoll sein.
Das Potenzial zur Einsparung von CO₂-Emissionen ist in den frühen Phasen eines Bauprojekts, insbesondere in der Phase Null oder der anfänglichen konzeptionellen Phase, am größten. Dies liegt vor allem daran, dass zu diesem Zeitpunkt grundlegende Entscheidungen getroffen werden, die die späteren Phasen der Planung, Ausführung und Nutzung des Bauwerks maßgeblich beeinflussen. Zu Beginn des Projekts besteht die größte
Flexibilität, verschiedene Optionen zu bewerten und diejenigen auszuwählen, die die besten Nachhaltigkeitswerte bieten. Spätere Änderungen sind oft kostspieliger und schwieriger umzusetzen.
Planungsbüros haben eine Vielzahl an Möglichkeiten zur Minimierung der Emissionen über den gesamten Lebenszyklus des Bauwerks. Sie können durch Innovationen den Materialeinsatz reduzieren, sie können Materialien auswählen, die eine geringere CO₂-Belastung während ihrer Herstellung, ihres Transports und ihrer Verarbeitung aufweisen. Eine Reduzierung der in den Baustoffen gebundenen Emissionen stellt einen der größten Faktoren dar, bei dem gerade im Tiefbau Einsparungen vorgenommen werden können. Durch innovative Ansätze, wie passive Haustechniksysteme oder fortschrittliche Energiemanagementstrategien, können Ingenieure und Architekten die Betriebsemissionen des Bauwerks minimieren. Planer können durch kluge und innovative Planungskonzepte eine lange Lebensdauer der Bauwerke sicherstellen und durch eine möglichst flexible Gestaltung eine potenzielle spätere Umnutzung erleichtern oder auch eine Wiederverwendbarkeit von Bauteilen oder Materialien ermöglichen. Diese Techniken sind bereits gelebte Praxis und es gibt zahlreiche Beispiele für nachhaltige Bauprojekte. Hier sind die Planungsunternehmen gefragt, Bauherren auf nachhaltige Optionen hinzuweisen und bei der Umsetzung zu unterstützen.
Ingenieure und Architekten verfügen somit über viele kleine und große Hebel zur Einsparung von Emissionen, indem sie die Rahmenbedingungen für die Nachhaltigkeit des gesamten Projekts setzen. Ihre Beratungen legen den Grundstein dafür, wie energie- und ressourceneffizient ein Bauwerk letztlich sein kann. Ausführende Unternehmen haben darüber hinaus Möglichkeiten zur Reduzierung von CO₂, zum Beispiel durch effiziente Bauprozesse und die Errichtung einer nachhaltigen Baustelle.
Stand: 18.03.2024
Autoren:
Dr. Clemens Kremer
Christina Zimmermann M.Sc.
Sascha Steuer
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VBI-Positionspapier zur Zielsetzung einer gesteigerten Nachhaltigkeit in Vergabeverfahren
Quelle und Foto: VBI
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