18.10.2024 - München
„Einfamilienhaussiedlungen induzieren Autoverkehr. Die 15-Minuten-Stadt mit einer ortsnahen Versorgung lässt sich wirtschaftlich nicht darstellen. Wenn die Kinder aus dem Haus sind, werden diese Siedlungen zu einer sozialen Wüste“, sagt unser Vorstandsmitglied Dr.-Ing. Markus Hennecke in der aktuellen Kammerkolumne in der Bayerischen Staatszeitung. Im Hinblick auf das große Potential für die energetische Sanierung und die bereits verbaute graue Energie gibt es aber ein starkes Argument für diesen Haustyp.
Die Mehrheit in Deutschland träumt von einem Einfamilienhaus, am liebsten freistehend. Durch die Ingenieurbrille gesehen jedoch sind sie, insbesondere wenn sie sich in Vororten größerer Städte oder in eigenen Siedlungen im ländlichen Raum zusammenrotten, ein Graus. Ingenieuraufgabe ist, mit vorhandenen, begrenzten Ressourcen eine optimale gesellschaftliche Wirkung zu erzielen. In Bezug auf Material-, Energie- und Flächeneffizienz schneiden Einfamilienhäuser gegenüber Mehrfamilienhäusern schlechter ab.
Erschließungskosten für Energie, Wasser und Telekommunikation sind wegen der langen Leitungswege hoch. Straßen und Wege zum Erschließen versiegeln die Landschaft überproportional. Ein öffentlicher Personennahverkehr lässt sich kaum etablieren. Einfamilienhaussiedlungen induzieren Autoverkehr. Die 15-Minuten-Stadt mit einer ortsnahen Versorgung lässt sich wirtschaftlich nicht darstellen. Wenn die Kinder aus dem Haus sind, werden diese Siedlungen zu einer sozialen Wüste.
Aber es gibt ein starkes Argument für diesen Haustyp.
Um die Klimaziele im Baubereich zu erreichen, muss dieser Bestand in Zukunft für die Bereitstellung von Wohnraum genutzt werden. Es wäre sogar besser, wenn mehr als das aktuelle Drittel der Bevölkerung darin wohnen würden. Dafür sind verschiedene Hebel in Bewegung zu setzen.
Menschen, die sich für Einfamilienhäuser interessieren, sind für Bestandsimmobilien zu begeistern. Der Nutzerwechsel ist ein guter Zeitpunkt für die energetische Sanierung, die neue Heizung, architektonische Anpassungen oder die Installation von Smart-Home. Der Zeitbedarf für Sanierung und Umgestaltung, der Genehmigungsaufwand und auch die Kosten sind geringer als bei einem Neubau.
Dafür müssen sie die Ortsattraktivität steigern. Nicht nur formale Anforderungen wie Kita, Kindergärten und Schulen gehören dazu, sondern auch ein öffentlicher Raum mit hoher Aufenthaltsqualität, Sportmöglichkeiten, eine gute medizinische Versorgung und Geschäfte. Ein Lebensmitteldiscounter am Stadtrand reicht nicht aus.
Es müssen Alternativen geschaffen werden für Menschen, die ihre Häuser übergeben möchten. Mehrfamilienhäuser mit altersgerechten Wohnungen gehören auch in den ländlichen Raum.
Landkreise können die Entwicklung unterstützen, indem sie für einen funktionierenden öffentlichen Nahverkehr sorgen. Wenn die Auslastungen einen Fahrplandienst nicht wirtschaftlich umsetzbar erscheinen lassen, gibt es mit Rufbussen gute Erfahrungen. In regionalen Zentren sollten Mobilitätshubs eingerichtet werden, die die überregionale Anbindung schaffen.
Die Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung zeigen an, dass sich die Menschen immer stärker in wenigen Metropolregionen konzentrieren. Diese Entwicklung ist weltweit gegeben. Trotzdem sollte das Bestreben auf Landesebene sein, dafür zu sorgen, dass in allen Regionen wirtschaftliche Grundlagen geschaffen werden, die ein Leben attraktiv machen.
Die Einfamilienhäuser stehen oft in Regionen, denen ein Bevölkerungsabnahme vorausgesagt wird. Notwendig sind gute infrastrukturelle Anbindungen mit Schiene und Straße sowie Zugang zur digitalen Infrastruktur. Wichtig ist aber auch eine offene Gesellschaft. Menschen werden nur dort hingehen, wo sie sich willkommen fühlen.
Das Förderprogramme „Jung kauft alt“ die Bundesregierung geht das Thema an, springt aber zu kurz. Familien zu fördern, wenn sie eine Bestandsimmobilie kaufen und energetisch sanieren, ist nur die eine Seite. Auch den Verkaufswilligen sollten Anreize geboten werden. Ein abbezahltes Einfamilienhaus ist oft günstiger als eine passendere Wohnung. Der Markt muss dynamisiert werden, um Wohnraum zu schaffen und die energetische Sanierung des Gebäudebestandes voranzutreiben.
Ingenieurinnen und Ingenieure der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau unterstützen alle Stakeholder von der Stadtplanung bis zur technischen Gebäudeausrüstung.
Kolumne von Dr.-Ing. Markus Hennecke, Vorstandsmitglied der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau, veröffentlicht in der Bayerischen Staatszeitung vom 18.10.2024
Kolumne zum Download
Die Bayerische Ingenieurekammer veröffentlicht einmal im Monat eine Kolumne zu aktuellen Themen in der Bayerischen Staatszeitung. Hier nehmen die Mitglieder des Vorstands der Kammer Stellung zu Themen aus Bauwesen, Politik und Gesellschaft.
Hier haben wir Ihnen alle Kolumnen zum Lesen oder als Download bereitgestellt.
Foto: Tobias Hase
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