22.08.2025 - Darmstadt
In Deutschland mangelt es derzeit an bezahlbarem, aber auch schnell verfügbarem Wohnraum. Die Nachfrage nach günstigem, nachhaltigem Wohnen wächst seit Jahren und kann von etablierten Bauweisen nicht befriedigt werden. Einen wichtigen Beitrag zur Behebung dieser Knappheit könnten Minihäuser - sogenannte Tinyhäuser - aus Papier leisten. Sie sind flexibel gestaltbar, aber insbesondere zeit- und kosteneffizient sowie umweltfreundlich herstellbar. Die TU Darmstadt arbeitet dazu am Forschungsprojekt „Tiny House auf Papierbasis“.
Seit März 2024 bearbeitet die Forschungsgruppe „Entwerfen und Konstruieren mit Papier“ von Professor Michael Kraus am Institut für Statik und Konstruktion (ISM+D) der TU Darmstadt das Forschungsprojekt „Tiny House auf Papierbasis“.
Die Doktorandinnen Naomi Bosse, Inés Burdiles und Henriette Hoffmann erforschen in diesem FuE-Kooperationsprojekt (Kennzeichen 16KN102532) im Rahmen des Förderprogramms Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) zusammen mit Industriepartnern eine kostengünstige und recyclefähige Alternative zu herkömmlichen Minihäusern auf Papierbasis.
Professor Michael Kraus, der auch Vorsitzender des Arbeitskreises "KI in der Planung" bei der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau ist, ordnet ein:
„Das Forschungsprojekt zu den Minihäusern passt sehr gut in die Forschungsstrategie der Gruppe: hin zu effizienten, skalierenden Bauweisen mit alternativen Materialien, deren ingenieurtechnische Bewertung und Etablierung in der Praxis“. Konkrete Fragestellungen im Rahmen des Projektes zielen auf die Erarbeitung von Entwurfs- und Bemessungsmethoden, begleitende Simulation und den entsprechend notwendigen und aus Experimenten ermittelten Kennwerten von Papiermaterialien und Konstruktionsvarianten ab.
„Unser Ziel ist es, Papier als tragenden und wärmedämmenden
Baustoff in Gebäuden einzusetzen, Bauteile wie Wände, für Innen und Außen sowie
Dächer aus zellulosebasierten Materialien herzustellen“, sagt Henriette
Hoffmann. „Papierprodukte, wie Wabenplatten, Vollpappe oder auch Papierrohre
können bei entsprechender Ausbildung richtig stabil sein und potenziell größere
Lasten, wie sie in Gebäuden auftreten, aufnehmen. Außerdem untersuchen wir, wie
gut das Material trägt, wenn es Feuchtigkeit ausgesetzt ist.“
Papier ist ein Material, über das man in anderen Branchen, etwa der Verpackungsindustrie, einiges weiß. „Die Papierindustrie ist weltweit verbreitet und arbeitet mit lokal produziertem Material. Das ist genial und kann einen großen Einfluss haben“, beschreibt Inés Burdiles und ergänzt: „Bisher wurde Papier in Gebäuden eher experimentell eingesetzt, beispielsweise in Notunterkünften, Ausstellungsbauten und einigen einzigartigen permanenten Gebäuden. Unser Projekt zielt aber darauf ab, Lösungen zu entwerfen, die modular und hochgradig vorproduzierbar sind, verschiedene Zielanforderungen aus Statik, Bauphysik, Ökologie und Ökonomie erfüllen und rasch vielen Menschen zur Verfügung gestellt werden können.“
Neben den tragwerksplanerischen Qualitäten spielen bauphysikalische Faktoren beim Tinyhaus aus Papier eine wichtige Rolle.
„Wir
untersuchen ja ein wirkliches Bauprodukt. Dafür erheben wir die
Materialkennwerte der Papiermaterialien hinsichtlich von Wärme-, Feuchte-,
Schall- und Brandschutz“, erklärt Naomi Bosse. „Durch die besondere Anordnung
der Papierschichten erzielen wir sehr gute Werte bei Wärmedämmung und
Schallschutz, außerdem eine gute Tragfähigkeit. Und mit einer ausreichenden
Deckschicht aus Vollpappe lässt sich auch ein ausreichender Brandschutz für
Gebäudeklassen 1 und 2 erreichen.“
Ein weiterer, wichtiger Aspekt ihrer Forschung ist die Ökobilanz des Tinyhauses. Durch die Verwendung von Papiermaterialien besteht das Potenzial, ein nahezu vollständig kreislauffähiges Haus zu schaffen. Kraus sieht die derzeit etablierten, aus einem Stück und mit großflächigen Verklebungen bestehenden Konstruktionsvarianten im Zielkonflikt mit der Zirkularität. Er misst metallischen Verbindungsmitteln, etwa Schrauben, wie sie auch im Holzbau im Einsatz sind, vielversprechendes Potential bei.
Andererseits fehlen experimentelle Daten zu solchen Verbindungsmitteln bei mittel- bis großskaligen Bauteilen. Hoffmann ergänzt: „Wir untersuchen daher gezielt die Verbindungstechniken zwischen verschiedenen Papierbauteilen. Etwa lösbare Klebstoffe, sodass man das Papier wieder gut recyceln kann und Verbindungen mit Schrauben, die auch gut wiederverwendbar sind. Dabei haben wir gelernt, dass wir bei der Verbindung von Gebäude-Komponenten, wie der Wand mit dem Boden und Dach, wegen der Lastabtragung Holz benötigen.“
Ein Tinyhaus-Prototyp zeigt Ihre bisherigen
Forschungsergebnisse: stabile Wände aus Papiermaterialien und intelligente
Verbindungsmöglichkeiten für die einzelnen Module. Die Projektpartner stellen
die Prototypen oder Probekörper her. Die Mitglieder der Forschungsgruppe sind
sich einig: „Das Material hat so viel Potenzial, insbesondere die Recycling-
und Kreislauffähigkeit, und das überwiegt die eventuellen Unzulänglichkeiten.“
Die Kompetenzen innerhalb der Arbeitsgruppe „Entwerfen und
Konstruieren mit Papier“ von Professor Kraus ergänzen sich ideal: Kraus und
Hoffmann bringen ihre umfassende Expertise in den Bereichen Tragwerksplanung
und -bemessung ein, Gruppenleiterin Dr. Nadja Bishara und Bosse im Bereich der
Bauphysik. Die Kompetenzen decken dabei jeweils vertiefte Kenntnisse in
numerischen Simulationsmethoden und entsprechender experimenteller Validierung
ab. Abgerundet wird das Team durch Burdiles, die Erfahrungen und Fachkenntnisse
aus Theorie und Praxis der Architektur beisteuert. „Thematisch ergänzen wir uns
sehr gut, es gibt viele gute Schnittstellen“, sagt Hoffmann.
Darüber hinaus ergeben sich für das Team Synergien aus dem parallel bearbeiteten Forschungsprojekt „Kreislaufgerechtes Außenwandsystem auf Papierbasis“. „Wir nehmen wissenschaftliche Erkenntnisse von dem einen in das andere Projekt mit. Es geht um ähnliche Themen, um die Statik der Papiermaterialien, also wie tragfähig oder druckfest sind sie, sowie bauphysikalische Aspekte, etwa Wärme-, Feuchte- oder Brandschutz. Zudem um die Konstruktion und Verbindungstechniken. Allerdings geht es um unterschiedliche Konstruktionen beziehungsweise Schichtaufbau“, erklärt Bosse.
Baustoffe aus Papier setzt man in Gebäuden bislang nur selten ein. Meist dienen sie lediglich als Trägermaterial oder Teilkomponenten. Bei Gipskartonplatten verstärkt etwa eine Papierschicht auf beiden Seiten die Stabilität der Platte. Innentüren haben häufig einen leichten Wabenkern aus gefaltetem Karton oder Pappe. Zudem finden papierbasierte Baustoffe Anwendung als Dämmmaterial. Um neue Produkte zu erarbeiten und neue Märkte zu erschließen, besteht Entwicklungsbedarf.
Das Forschungsprojekt „Kreislaufgerechtes Außenwandsystem auf Papierbasis“ (Kennzeichen 16KN102529) unter der Leitung von Prof. Michael Kraus der Arbeitsgruppe „Entwerfen und Konstruieren mit Papier“ leistet einen wertvollen Beitrag dafür.
Von Anfang 2017 bis Ende 2020 gab es an der TU Darmstadt den vom LOEWE-Programm des Landes Hessen geförderten Schwerpunkt „BAMP! – Bauen mit Papier“ unter der Leitung von Prof. Ulrich Knaack. Dabei lag der Fokus auf Bauwerken mit temporärer Nutzung, wie Notunterkünfte, Übergangsbauten für Schulen oder dem Messebau, die entsprechend den baurechtlichen Forderungen gegebenenfalls mit geringeren technischen Anforderungen versehen sind.
Quelle: TU Darmstadt, Text: Martina Schüttler-Hansper, Fotos: ISM+D, Paper Construction and Design - Inés Burdiles / Montage: TU Darmstadt
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