10.10.2025 - München / Seebruck
Unter dem Motto „Kein Ding ohne Ing.“ stellt die Bayerische Staatszeitung auf einer Sonderseite regelmäßig spannende Projekte von Kammermitgliedern vor. Im neuesten Artikel berichten Dr.-Ing. Otto Wurzer von WTM Engineers München und Dipl.-Ing. Florian Paukner vom Staatlichen Bauamt Traunstein über die Teilerneuerung und Nutzungsdauerverlängerung der Alzbrücke Seebruck, bei der mit kleinen Eingriffen eine große Wirkung für die Nachhaltigkeit erreicht werden konnte.
Die Alzbrücke Seebruck befindet sich im Landkreis Traunstein in der Ortsdurchfahrt von Seebruck, unmittelbar am nördlichen Ufer des Chiemsees. Das Bauwerk überführt die Staatsstraße St 2095 über die Alz, in die der Chiemsee in diesem Bereich mündet. In der näheren Umgebung stellt die Brücke die einzige Alzquerung auch für Fußgänger und Radfahrer dar.
Der Überbau des bestehenden Bauwerks wies erhebliche Schäden
auf, was einen Brücken-(teil)neubau erforderlich machte. Zum Planungszeitpunkt
war langfristig vorgesehen, eine Ortsumgehung für die St 2095 zu errichten
und die Alzbrücke Seebruck in eine reine Fuß- und Radwegbrücke umzuwidmen. Bis
dahin musste aber auf jeden Fall eine uneingeschränkte Nutzung als
Straßenbrücke aufrechterhalten werden. Der zumindest absehbar temporäre
Charakter der Erhaltungsmaßnahme eröffnete daher überhaupt erst planerische Wege,
die bei Straßenbrücken am Ende ihrer Lebensdauer üblicherweise gar nicht
beschritten werden.
Für die Erneuerung des Bauwerks durfte die St2095 aus verkehrlichen Gründen höchstens eine Bausaison lang gesperrt werden. Im Bereich der Mündung des Chiemsees in die Alz liegt aufgrund der anstehenden großmächtigen Seetone eine ungünstige Baugrundsituation vor. Die für eine vollständige Erneuerung des Bauwerks notwendigen Gründungsmaßnahmen in Bestandslage erschienen im genannten Zeitrahmen als nicht umsetzbar.
Eine eingehende geotechnische Begutachtung und zerstörungsfreie Prüfungen zeigten, dass die vorhandenen Gründungskonstruktionen (Flachgründungen und tief in den Seeton einbindende Holzpfähle) noch uneingeschränkt tragfähig sind. Vor diesem Hintergrund wurde nach reiflicher Prüfung aller Optionen entschieden, nur den Überbau zu erneuern und die vorhandenen Unterbauten nach geeigneter statisch-konstruktiver Ertüchtigung weiterhin zu nutzen.
Die Alzbrücke Seebruck liegt in einem landschaftlich äußerst attraktiven Umfeld. Von der Brücke aus bietet sich nach Süden ein geradezu malerischer Ausblick über den Chiemsee auf die Alpen. Die Alz und ihre Uferzonen gelten als ökologisch hochwertig und sensibel.
Bei solch einem Umfeld kann die grundlegende Gestaltungsidee nur heißen, die Brücke selbst möglichst minimalistisch und schlicht zu halten, damit sie hinter die benachbarten „Naturschönheiten“ zurücktritt. Es galt also, mit den geometrischen und konstruktiven Randbedingungen, die die Weiternutzung der bestehenden Unterbauten vorgibt, den neuen Überbau in seiner Form als schlankes und funktionales Band zu konzipieren. Bereits die bestehende Brücke hatte gestalterisch den Charakter einer „Hafen- bzw. Pierbrücke“. Auch diese Assoziation sollte wegen der Nachbarschaft zum nahen Freizeithafen erhalten bleiben.
Trotz der angestrebten großen Überbauschlankheit musste aber der neue Überbau - zumindest bis zum Nutzungsende als Straßenbrücke - hinsichtlich seiner Tragfähigkeit in der Lage sein, die in den aktuellen Brückenbaunormen vorgegebenen Verkehrslasten aufzunehmen. Damit die bestehenden und weiter zu nutzenden Unterbauten und Gründungen keine zusätzlichen Setzungen erfahren, war in Anbetracht der höheren Verkehrslasten das Überbaugewicht zu minimieren. Weitere Zuschärfung erfuhr dieses Planungsziel durch die verkehrsplanerische Festlegung, zur Verbesserung der Fuß- und Radwegverbindung über die Alz den neuen Brückenüberbau zu verbreitern.
Sowohl wegen dieser Bedingung als auch wegen der Beschränkung der Bauzeit auf ein Jahr wurde für die Erneuerung des Brückenüberbaus auf der Grundlage einer Variantenuntersuchung eine Stahlverbundkonstruktion mit einem hohen Vorfertigungsgrad und einer gewichtssparenden Ausführung gewählt.
Der Regelquerschnitt des neuen Überbaus besteht aus vier Verbundfertigteilträgern mit schlaff bewehrter Ortbetonergänzung. Offene geschweißte Stahlträger bilden die vier Stege des Plattenbalkenquerschnitts. Entsprechend der Standorte der vorhandenen Unterbauten weist der neue 116,5 m lange Überbau 9 Felder mit Einzelstützweiten von je 12,80 m auf. Bei einer mittleren Konstruktionshöhe von 0,85 Metern ergibt sich eine Schlankheit von 15.
Zur weiteren Gewichtsreduzierung wurden die Fertigteilplatten (LC35/38) wie auch die Kappen (LC25/28 LP) mit Leichtbeton hergestellt. Für den Einsatz des Leichtbetons musste baurechtlich eine Zustimmung im Einzelfall erwirkt werden.
Um die Auflagerkräfte aus dem neuen Überbau aufnehmen zu können, wurden die Köpfe der bestehenden Pfeiler ertüchtigt. Hierfür kamen vorgefertigte Stahlkästen zum Einsatz. Die tragende Konstruktion dieser Stahlkästen besteht aus einem steifen Trägerrost, der die Lagerlasten aus dem Überbau möglichst gleichmäßig auf die bestehenden, unbewehrten Pfeilerschäfte verteilt.
Die neuen Stahlkästen wurden bei der Montage in ein Mörtelbett gesetzt. Die Hohlräume im Inneren der Stahlhohlkästen wurden bauseits bewehrt und ausbetoniert. Durch eingebohrte und eingeklebte Bewehrung erfolgt die kraftschlüssige Verbindung zwischen neuem Pfeilerkopf und „altem“ Pfeilerschaft. Zur Verstärkung der Pfeilergründung wurden außerdem in Achse 8 im Zuge der Pfeilerkopfertüchtigung Mikropfähle durch den Pfeiler in den Baugrund eingebracht.
Auch die Auflagerbänke der beiden Widerlager wurden zur Aufnahme der Beanspruchungen aus dem erneuerten Überbau ertüchtigt. Am westlichen Widerlager (Achse A) ist die Längsfesthaltung für den Überbau angeordnet. Zur Aufnahme der auftretenden Längskräfte wurde die Auflagerbank durch Mikropfähle im Baugrund rückverankert.
Im Bauzustand befand sich eine temporäre Längsfesthaltung des noch nicht fertiggestellten Überbaus am Widerlager West, weshalb dort auch Rückverankerungen mittels geneigter Mikropfähle hergestellt wurden. Zum Ausgleich der Längsbewegungen des Überbaus wurde am Widerlager Ost eine Mattendehnfuge eingebaut, die für Gesamtdehnwege bis zu 160 mm ausgelegt ist.
Ein elegantes Erscheinungsbild der teilerneuerten Brücke wurde durch die Form- und Farbgestaltung der neuen Stahlbauteile erreicht. Die aufgesetzten Pfeilerköpfe erhielten einen Anzug und wurden so an die Außenkanten der Querträgerenden angepasst. Als wesentliches Element der Brückengestaltung sollten die Oberflächen der Pfeilerköpfe, der Überbau-stahlkonstruktion und des Geländers einheitlich farblich gestaltet werden.
Bei der Gestaltung der Geländer wurde auf große Transparenz geachtet. Die Wahrnehmung der umgebenden Landschaft sollte durch das Geländer möglichst nicht eingeschränkt werden. Auch das Lichtkonzept zeichnet sich durch Minimalismus und Funktionalität aus, entfaltet aber bei Dunkelheit und Dämmerung reizvolle Perspektiven durch Spiegelungen in Alz und Chiemsee.
Mit dem Erhalt der bereits über 90 Jahre alten Unterbauten und deren Gründungen wurde ein bedeutender Beitrag für nachhaltiges Bauen geleistet. Der noch immer einwandfreie Zustand der Bestandsbauteile konnte mit dem Einsatz modernster zerstörungsfreier Untersuchungsmethoden nachgewiesen werden.
Eine konsequente Minimierung des Gewichts des neuen Überbaus durch die Konzeption einer leichten und leistungsfähigen Stahlverbundkonstruktion und die innovative Verwendung von Leichtbeton ermöglichte die Weiternutzung der Unterbauten trotz der über die Lebensdauer des Bauwerks deutlich gestiegenen Verkehrsbelastung. Dadurch wurden Eingriffe in das sensible Ökosystem der Alz auf ein Minimum begrenzt und ein nennenswerter Teil der im Bestand vorhandenen grauen Energie erhalten.
Die Reduktion der Bauzeit, die neben der Weiterverwendung der bestehenden Unterbauten durch einen hohen Vorfertigungsgrad bei der Bauausführung ermöglicht wurde, beschränkte die notwendige Vollsperrung des Straßenverkehrs auf 13 Monate. Damit wurde der Umleitungsverkehr zeitlich stark begrenzt und die daraus resultierenden zusätzlichen CO2-Emissionen wurden auf ein Minimum reduziert.
In Summe konnten mit diesem Vorgehen etwa 8.000 Tonnen CO2 eingespart werden. Auf die Einwohnerzahl von Seebruck umgerechnet entspricht diese CO2-Einsparung je Einwohner 40 Hin- und Rückfahrten München - Berlin mit der Bahn oder 13 Autofahrten.
Eine positive Wirkung wird die teilerneute Alzbrücke sicherlich auch auf die nachhaltige Veränderung des Mobilitätsverhalten von Anwohnern und Touristen entfalten. Durch die Verbreiterung des Überbaus konnte eine erhebliche Verbesserung der Geh- und Radwegverbindung über die Alz erreicht und eine Lücke im Chiemsee-Rundweg geschlossen werden. Dies ist gelungen, indem der Radweg künftig separat auf der Nordseite der Brücke geführt wird und der Gehweg auf der Seeseite.
Insbesondere die Interaktion von Fußgänger- und Radverkehr konnte auf diese Weise konfliktfreier für die Zukunft gestaltet werden. Es ist nun genügend Platz auf der Brücke, damit Fußgänger wie Radfahrer auch an den touristisch hoch frequentierten Wochenenden einmal verweilen können, um von der Brücke aus das großartige See- und Alpen-Panorama zu genießen.
Nach knapp 14-monatiger Bauzeit wurde die teilerneuerte Alzbrücke Seebruck am 21.12.2022 wieder für den Straßenverkehr freigegeben. Bis Ende Mai 2023 erfolgten noch Restarbeiten an angrenzenden Stützwänden.
Da in unmittelbarer Nähe des Bestandsbauwerks eine Behelfsbrücke hergestellt wurde, hat der Fußgänger- und Radverkehr während der gesamten Bauzeit keine Einschränkungen erfahren.
Das teilerneuerte Brückenbauwerk fügt sich heute harmonisch in seine besondere landschaftliche Umgebung ein und bietet ohne Einschränkungen die Leistungsfähigkeit einer modernen Verkehrsinfrastruktur. Wegen der erreichten CO2-Einsparungen und der äußerst begrenzten Eingriffe in das ökologisch wertvolle Umfeld der Brücke, stellt die „Nutzungsdauerverlängerung der Alzbrücke Seebruck“ sicherlich ein hervorragendes Beispiel für nachhaltiges Bauen dar.
Bauherr:
Staatliches Bauamt
Traunstein
Objekt- und
Tragwerksplanung:
WTM Engineers
München GmbH
Örtliche
Bauüberwachung:
Staatliches Bauamt
Traunstein
Prüfingenieur:
Dr. Maximilian
Fuchs, Haumann und Fuchs Ingenieure AG
Ausführendes
Unternehmen:
Josef Rädlinger
Ingenieurbau GmbH
Otto Wurzer ist Vorsitzender des Ausschusses Öffentlichkeitsarbeit der Kammer und Geschäftsführer von WTM Engineers München. Florian Paukner ist Abteilungsleiter Konstruktiver Ingenieurbau beim Staatlichen Bauamt Traunstein.
Kein Ding ohne ING
In Zusammenarbeit mit der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau stellt die Bayerische Staatszeitung auf einer Sonderseite in regelmäßigen Abständen spannende Projekte von Mitgliedern der Ingenieurekammer-Bau vor.
Quelle: WTM Engineers München GmbH, Staatliches Bauamt Traunstein, Fotos: Markus Lederwascher / WTM Engineers
Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Bayerischen Staatszeitung
Einmal im Quartal erscheint ein ganzseitiger Artikel über ein Projekt eines Mitgliedes der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau in der Bayerischen Staatszeitung. Auch Ihr Projekt kann dabei sein!
Alles,
was Sie tun müssen, ist eine Mail an Sonja Amtmann, Pressereferentin
der Kammer, zu schicken und kurz zu skizzieren, welches Projekt Sie
gerne vorstellen möchten und was Ihr Projekt ausmacht.
Es gibt keinerlei
Begrenzungen hinsichtlich des Fachgebietes. Auch kann das Bauvorhaben
an jedem beliebigen Ort der Erde realisiert worden sein.
Einzige
zwingende Voraussetzung ist, dass der Autor des Artikels Kammermitglied
ist und das Projekt möglichst nicht älter als fünf Jahre ist.
Wenn noch Fragen offen sind...
...
hat Sonja Amtmann, die Pressereferentin der Kammer, stets ein offenes
Ohr für Sie. Rufen Sie an unter +49 (0) 89 419434-27 oder schicken Sie eine
E-Mail an smtmnnbykd.
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