28.11.2025 - München
In der Jahresbeilage „Bauen in Bayern“ der Bayerischen Staatszeitung vom 28. November 2025 bricht Dr.-Ing. Werner Weigl, der 2. Vizepräsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau, eine Lanze für die losweise Vergabe. „Schon der Bayerische Oberste Rechnungshof hat 2006 festgestellt, dass Gesamtvergaben, etwa an General- oder Totalübernehmer, keine Kostenvorteile gegenüber der losweisen Vergabe bieten. Ähnliche Erfahrungen machten die Rechnungshöfe in Hamburg und Baden-Württemberg“, betont Dr. Weigl.
Derzeit wird in Berlin heftig um das künftige Vergaberecht gerangelt. Im Fokus steht dabei die Frage, ob der Vorrang der losweisen Vergabe, wie er seit Jahrzehnten zum Schutz mittelständischer Betriebe Bestand hatte, so stark aufgeweicht wird, dass er faktisch nicht mehr besteht.
Bei der Frage, ob künftig die Vergabe an Generalunternehmer oder gar Totalübernehmer anstelle der bisherigen Fach- und Teillosvergabe an kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) Standard wird, geht es nicht um bloße Verwaltungsfragen, sondern um unsere künftige Wirtschaftsstruktur, also um Vielfalt statt Monokultur, um Mittelstand statt Konzernlogik, um Verantwortung statt Verdrängung.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum sogenannten Vergabebeschleunigungsgesetz sieht die Beibehaltung der losweisen Vergabe vor und möchte sie lediglich für solche Vorhaben lockern, die aus dem Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität finanziert werden und den 2,5-fachen Schwellenwert überschreiten.
Doch dem Bundesrat im Schulterschluss mit kommunalen Spitzenverbänden und Bauindustrie geht diese Lockerung nicht weit genug. Er will den Auftraggebern zur Beschleunigung der Beschaffungsvorhaben erlauben, Lose sämtlicher öffentlichen Aufträge bei Erreichen des einfachen Schwellenwertes „zusammenzufassen, wenn wirtschaftliche, technische, zeitliche oder sachliche Gründe dies rechtfertigen“.
Die Ausnahmen vom Losgrundsatz würden mit dieser Formulierung zu einem Einfallstor, durch das sinnbildlich der größte Radlader jedes Generalunternehmers locker hindurchrollen könnte ohne anzuecken. Es bedarf nur geringster Anstrengungen, „zeitliche Gründe“ zu (er-)finden. Noch einfacher wird es, wenn sogar sachliche Gründe vorgetragen werden können, die in der Vorschlagsfassung des Bundesrats durch keinerlei Anforderungen eingegrenzt werden.
Da wäre es rechtstechnisch eleganter, auf die darin eingeschlossenen wirtschaftlichen, technischen und zeitlichen Gründe in der Norm gleich zu verzichten, denn liegen solche Gründe vor, würde niemand sie als unsachlich betrachten. Der Rückgriff auf einen Generalunternehmer wäre nach Meinung des Bundesrates sachgerecht, um Projektrisiken zu minimieren und die fristgerechte Umsetzung nicht zu gefährden.
Das klingt nach Effizienz, die neben weiteren Nachteilen als kostspielige Bequemlichkeit jedenfalls ihren Preis hat. Schon der Bayerische Oberste Rechnungshof hat 2006 festgestellt, dass Gesamtvergaben, etwa an General- oder Totalübernehmer, keine Kostenvorteile gegenüber der losweisen Vergabe bieten.
Ähnliche Erfahrungen machten die Rechnungshöfe in Hamburg und Baden-Württemberg. Das erscheint schon deswegen schlüssig, weil Aufwandseinsparungen beim Auftraggeber zu Leistungsmehrungen beim Generalunternehmer führen, dem nämlich die Pflicht zur Gesamtkoordination seiner Nachunternehmer zukommt.
Die vermeintliche Ersparnis an Verwaltungsaufwand wird folglich regelmäßig von Mehrkosten, Nachträgen und überhöhten Risikozuschlägen aufgezehrt. Verlangt etwa der Unternehmer für die Altlastenentsorgung 100.000 €, schlägt der ihn beauftragende Erdbauer für Koordination, Wagnis und Gewinn z.B. 15 % darauf. Der den Erdbauer beauftragende Rohbauunternehmer schlägt auf die 115.000 € seinerseits 15 % auf, ebenso verfahren der Generalunternehmer und der Totalunternehmer, so dass den öffentlichen Auftraggeber diese Leistung schlussendlich 174.900 € kostet. Zu Recht, denn kein wirtschaftlich vernünftig denkender Unternehmer arbeitet nur für die Namensnennung auf der Projekttafel.
Doch dass eine Gesamtvergabe „einfacher“ und deshalb auch mit wenig qualifiziertem Personal bei der Vergabestelle zu schultern sei, wie es der Bundesrat in seinem Änderungsantrag unterstellt, ist keineswegs erwiesen und würde voraussetzen, dass es beim Einsatz öffentlicher Mittel allein um Bequemlichkeit statt um Haushaltsdisziplin und Mittelstandsschutz geht.
Wer aber den Aufwand der öffentlichen Hand mit dem Aufwand der Wirtschaft verwechselt, hat die Idee des Vergaberechts nicht verstanden. Es geht eben nicht darum, dass eine Behörde ihr Projekt möglichst schnell an den Markt bringt und fertigstellt, sondern dass öffentliche Aufträge transparent, fair und wettbewerblich vergeben werden, ohne kleine und mittelständische Unternehmen zu vernachlässigen.
Die losweise Vergabe ist und bleibt dafür das wichtigste Werkzeug. Sie sorgt dafür, dass auch kleine und mittlere Unternehmen überhaupt eine Chance haben, mitzuhalten. Ohne die Mittelstandsklausel des § 97 Abs. 4 GWB würden regionale Handwerksbetriebe und spezialisierte Mittelständler vom Markt gedrängt – von jenen großen Anbietern, die ihre Angebotspreise global kalkulieren und ihre Subunternehmerketten über Länder hinweg spannen.
Verloren gingen mit den kleinen und mittleren Betrieben nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch regionale Identität und Verantwortung. Die Bandenwerbung des örtlichen Ingenieurbüros oder Bauunternehmers im Fußballstadion oder das Sponsoring des Schützenvereins oder des Blasorchesters sind ohne starken Mittelstand unvorstellbar. Selbst der Azubi aus dem Nachbardorf wäre ohne örtliche KMU nicht denkbar. Davon profitiert nicht nur die betroffene Kommune, sondern der ganze ländliche Raum.
Befürworter der Gesamtvergabe argumentieren gern mit der Komplexität moderner Projekte. Das mag für die Errichtung eines Großflughafens gelten, kaum aber für den Bau einer Schule oder die Sanierung einer gängigen Brücke. Gerade bei kommunalen Infrastrukturvorhaben zeigt sich, dass die vermeintliche „Einheitlichkeit“ oft zum Nachteil der öffentlichen Hand gerät: Wenn Planung, Ausführung und Überwachung in einer Hand liegen, fehlt das Korrektiv.
Der Planer, der eigentlich die Interessen des Auftraggebers vertreten sollte, sitzt dann plötzlich auf der anderen Seite des Tisches im Dienste des Totalunternehmers. Kontrolle im Sinne des Auftraggebers – Fehlanzeige! Dafür benötigt der Auftraggeber trotz der Vergabe an den Totalunternehmer zusätzlich Berater. Einfacher wird es nur vermeintlich.
Die losweise Vergabe dagegen ermöglicht genau jene Arbeitsteilung, die in der Privatwirtschaft als Tugend gilt: Kontrolle durch Trennung der Funktionen. Planer, Bauüberwacher und ausführende Unternehmer sind unabhängig voneinander beauftragt und tragen, um den Preis der gesamtschuldnerischen Haftung, gemeinsam zum Erfolg bei. Eine kluge und saubere Planung ist Basis für ein transparentes Leistungsverzeichnis und verhindert, dass eine funktionale Leistungsbeschreibung zum Freibrief für kreative Interpretationen wird, die zwar dem Leistungsprogramm entspricht, doch den öffentlichen Bedarf nicht passgenau deckt.
Projektbegleitendes Gegensteuern des Auftraggebers bei sich abzeichnenden Fehlentwicklungen ist zwar immer möglich, führt aber regelmäßig in die Nachtragsfalle und gebärt Kosten, welche den ohnehin schon widerlegten wirtschaftlichen Vorteil der Gesamtvergabe endgültig als Chimäre dekuvrieren. Der Zusammenhang zwischen Detailierungsgrad in der Planung samt Leistungsbeschreibung und Risikozuschlägen bei der Kalkulation der Leistung lässt sich damit schlechterdings nicht leugnen.
Auch auf europäischer Ebene wächst das Bewusstsein für den Wert eines starken Mittelstands für die gesamte Wirtschaft. Das Europäische Parlament hat im September 2025 betont, dass KMU überproportional unter der Bürokratie und den überzogenen Qualifikationsanforderungen der Vergabeverfahren leiden. Diese Unternehmen sind die tragenden Säulen von Innovation und Nachhaltigkeit und resiliente Eckpfeiler in Krisenzeiten, die sich gegenwärtig geradezu festzusetzen scheinen.
Wenn man es ernst meint mit nachhaltiger, innovativer Vergabe, dann muss man diese Unternehmen an öffentlichen Aufträgen teilhaben lassen. Das jüngst veröffentlichte Gutachten der Professoren Dr. rer. pol. Michael Eßig (Universität der Bundeswehr München) und Dr. iur. Martin Burgi (Ludwigs-Maximilians-Universität München) zu der vom Bundesrat angestrebten Lockerung formuliert markig, die „Befreiung“ der KMU von Bürokratielasten bestehe bei darin, dass sie in Zukunft gar keine oder signifikant weniger öffentliche Aufträge bekämen.
Natürlich ist niemand gegen Effizienz. Aber sie darf nicht zum Vorwand werden, die Grundprinzipien des Wettbewerbs auszuhebeln. Der Gesetzgeber wäre gut beraten, sich daran zu erinnern, dass am Ende nicht die Dauer des Vergabeverfahrens, sondern die Qualität des Ergebnisses zählt. Die losweise Vergabe ist kein nostalgisches Relikt aus der Ära der Maurerkelle, sondern eine moderne, pragmatische Regel, die Wirtschaftlichkeit und Vielfalt verbindet. Die Forderung nach mehr Gesamtvergaben würde dagegen der zentralisierten, risikoarmen Bequemlichkeitsökonomie das Wort reden.
In Wahrheit kranken unsere Bauvorhaben nicht an der losweisen Vergabe, sondern an der Vergabe an die billigsten Bieter, nicht an die wirtschaftlichsten. Das Vergaberecht bietet hierzu ausreichend Möglichkeiten. Es fordert nur Mut bei den Vergabestellen und die Akzeptanz der unterlegenen Bieter.
Wenn die Dachdeckerin aus dem Nachbardorf, der Elektriker aus dem Landkreis und der Ingenieur aus der Region gemeinsam ein Projekt stemmen, dann entsteht nicht nur ein Bauwerk, sondern Identifikation und Vertrauen – in faire Verfahren, in gemeinsame Leistungsfähigkeit, aber auch in die Idee, dass gute Arbeit nicht „aus einer Hand“ kommen muss. Genau das ist die Stärke der losweisen Vergabe. Und genau deshalb sollte sie bleiben.
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Quelle: Bayerische Staatszeitung, Autor: Dr.-Ing. Werner Weigl
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