04.07.2019 - Luxemburg
Im Vertragsverletzungsverfahren zur HOAI hat der Europäische Gerichtshof am 4. Juli das Urteil verkündet: die Mindest- und Höchstsätze sind nicht mit dem EU-Recht vereinbar und damit europarechtswidrig. Kammerpräsident Prof. Dr. Norbert Gebbeken sagt: "Es ist sehr bedauerlich, dass der EuGH unseren Argumenten nicht gefolgt ist. Das müssen wir akzeptieren und schauen jetzt nach vorne. Für unsere Mitglieder haben wir die drängendsten Fragen zu den Folgen des Urteils schon einmal zusammengefasst und beantwortet. Und am 23. Juli gibt es ein kostenfreies Webinar, in dem die wichtigsten Konsequenzen des Urteils vermittelt werden."
"Gemeinsam mit der Bundesingenieurkammer, dem AHO und der Bundesarchitektenkammer haben wir alles dafür getan, um die Verbindlichkeit der Mindest- und Höchstsätze der HOAI zu erhalten. Da diese jetzt wegfallen, müssen wir Planer in Zukunft noch besser kalkulieren, um die Leistung unserer Arbeit zu bemessen und auskömmlich arbeiten zu können. Mit unserer Ingenieurakademie werden wir dazu in Kürze noch weitere Seminare anbieten", so Prof. Dr. Norbert Gebbeken weiter.
Dr.-Ing. Werner Weigl, 2. Vizepräsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau, ergänzt: „Neben fairen und schlanken Vergabeverfahren war bislang die HOAI wichtiger Baustein für den Erhalt unserer kleinteiligen Planungslandschaft, die auch kleinen und regionalen Ingenieurbüros eine Marktteilnahme ermöglich. Großbritannien ist ein warnendes Beispiel: nach Abschaffung der dortigen Honorarordnung begann ein Verdrängungsprozess, an dessen Ende wenige große Büros überlebten und der anschließend zum Nachteil der Auftraggeber zu einem drastischen Honoraranstieg führte.“
Die Planerorganisationen, allen voran die Bundesingenieurkammer, die
Bundesarchitektenkammer und der AHO, hatten sich im Vorfeld gemeinsam mit der Bundesregierung massiv dafür eingesetzt, die Ansicht der EU-Kommission, die Mindest- und Höchstsätze
der HOAI seien nicht mit dem EU-Recht vereinbar, zu widerlegen. Nachdem der Generalanwalt am EuGH, Maciej Szpunar, bereits in seinen Schlussanträgen vom 28. Februar 2019 (wir berichteten) zum Ausdruck gebracht hatte, dass er die Verbindlichkeit der Mindest- und Höchstsätze
der HOAI für unvereinbar mit dem EU-Recht hält, ist der EuGH dem nun gefolgt.
Lesen Sie auch:
Pressemitteilung der Bundesingenieurkammer zum HOAI-Urteil
Der EuGH hat mit
Urteil vom 4. Juli 2019 abschließend entschieden, dass die in der HOAI
festgelegten Mindest- und Höchstsätze europarechtswidrig sind. Aufgrund des
Urteils ist die Bundesregierung in Bezug auf die HOAI gehalten, die
Pflicht zur Beachtung verbindlicher Mindest- und Höchstsätze (§ 7 Abs. 1 HOAI)
– und zwar nur diese - umgehend abzuschaffen. Erfahrungsgemäß kann das bis zu einem Jahr
dauern, da in diesem Fall auch die Rechtsgrundlage der HOAI angepasst werden
muss. Unabhängig davon sind die Mindest- und Höchstsätze aber schon jetzt nicht mehr verbindlich.
Die sonstigen Inhalte der HOAI sind von dem Urteil des EuGH unberührt, d.h. sie sind weiterhin gültig. Die HOAI kann damit weiterhin als Vertragsgrundlage vereinbart werden. Der vertraglichen Honorarvereinbarung der Parteien und damit der Honorarkalkulation kommt zukünftig eine größere Bedeutung zu, denn Klagen auf den Mindest- bzw. Höchstsatz sind ab sofort nicht mehr durchsetzbar.
Wie geht es jetzt weiter?
Die Bundesingenieurkammer, die Bundesarchitektenkammer und der AHO haben bereits Gespräche mit den zuständigen Bundesministerien über die
infolge des EuGH Urteils notwendigen Anpassungen der HOAI geführt. Es besteht
unter den Verbänden Einvernehmen, die HOAI als Rechtsverordnung zu erhalten und neben den
Leistungsbildern auch die Honorartafeln zur Preisorientierung fortzuführen.
Hier finden Sie das Urteil im Wortlaut:
EuGH: HOAI-Urteil- Rechtssache C-377/17
In dem kostenfreien Webinar informieren Dr. Ing. Werner Weigl, 2. Vize-Präsident der Kammer, und Rechtsanwalt Markus Zenetti über die Konsequenzen des EuGH-Urteils für Ingenieurbüros. Die Referenten gehen drauf ein, was das Urteil für bereits vor der EuGH-Entscheidung abgeschlossene Verträge bedeutet und was bei zukünftigen Honorarvereinbarungen beachtet werden muss.
Es geht ausschließlich
um die Mindest- und Höchstsätze der HOAI und nicht um die HOAI als Ganzes.
Nach europäischem Recht (Art. 15 der Richtlinie 2006/123/EG,
„Dienstleistungsrichtlinie“ (DL-RL)) dürfen die Mitgliedsstaaten bestimmte Anforderungen
an die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistung nur dann stellen, wenn diese
nach bestimmten Kriterien gerechtfertigt sind. Zu diesen
rechtfertigungsbedürftigen Anforderungen zählt nach der Richtlinie auch die
Beachtung von festgesetzten Mindest- und/oder Höchstpreisen (Art. 15 Abs. 2 g).
Die Bundesregierung und die beteiligten Planerorganisationen BIngK, BAK und AHO
halten die in der HOAI formulierten Mindest- und Höchstsätze für
gerechtfertigt, der EuGH sieht in diesen jedoch leider einen Verstoß gegen die
Richtlinie.
In jedem Fall beschränkt sich aber der Urteilsspruch damit auch nur auf die Mindest- und Höchstsätze. Auch die EU-Kommission selbst, die das Verfahren ja angestrengt hat, hat im Übrigen deutlich gemacht, dass sie weder die Leistungsbilder noch sonstige Regelungen der HOAI beanstandet, sondern ausschließlich die Verbindlichkeit des Preisrechts.
In einem anderen Verfahren hat der EuGH erst im Januar 2018 klargestellt,
dass die in dem betreffenden
Kapitel der Dienstleistungsrichtlinie enthaltenen Bestimmungen über die
Niederlassungsfreiheit der Dienstleistungserbringer (hierzu gehört auch Art. 15
DL-RL) auch auf reine Inlandssachverhalte anwendbar sind.
Und auch im Rahmen des HOAI-Vertragsverletzungsverfahrens ist der EuGH nicht zu einer anderen Entscheidung gelangt, daher gilt das Urteil für alle Sachverhalte.
Aufgrund des EuGH-Urteils hat die Bundesrepublik Deutschland nun die Pflicht, die beanstandeten Regelungen „so schnell wie möglich“ aufzuheben (nach ständiger Rechtsprechung des EuGH verlangt das Interesse an einer sofortigen und einheitlichen Anwendung des Unionsrechts, dass die Behebung des festgestellten Vertragsverstoßes´ sofort in Angriff und innerhalb kürzestmöglicher Frist abgeschlossen sein muss.). Da Gesetze zu ändern sind und das parlamentarische Verfahren eingehalten werden muss, kann das bis zu einem Jahr dauern.
Das bedeutet aber nicht, dass die HOAI-Mindest- und Höchstsätze bis zu deren Aufhebung ohne weiteres weiter gelten, denn die Gerichte in Deutschland haben ab dem Zeitpunkt des Urteilsspruch die Pflicht, die Beachtung des EuGH-Urteils in der Rechtsprechung sicherzustellen. Dies bedeutet, dass die Regelungen noch existieren, aber faktisch keine Rechtswirkung mehr entfalten dürfen.
Zunächst ist
festzuhalten, dass der Vertrag im Hinblick auf die Leistung und die
Nebenpflichten vollkommen unberührt bleibt.
Liegt die bezifferte oder
bezifferbare Vergütung dabei aber unterhalb der Mindestsätze der HOAI, kann
sich der Planer vor Gericht aufgrund des nun ergangenen EuGH-Urteils nicht mehr
auf diese berufen.
Das gleiche gilt entsprechend für den Fall der Höchstsatzüberschreitung. Die in der HOAI verankerte „Preiskontrolle“ wird also künftig nicht mehr imstande sein, die getroffene Vereinbarung in die eine oder andere Richtung zu überlagern.
Öffentliche Auftraggeber werden diese Möglichkeit wahrscheinlich nicht in Betracht ziehen. Bei privaten Auftraggebern ist es hingegen nicht ganz auszuschließen, dass sie unter Bezugnahme auf das EuGH-Urteil eine Herabsetzung der Vergütung verlangen. Dem muss aber nicht nachgekommen werden, das EuGH-Urteil hat keine unmittelbare Rechtswirkung auf abgeschlossene Verträge. Es gilt der Grundsatz „pacta sunt servanda“.
Bei „Altverträgen“ könnte ein Auftraggeber zwar grundsätzlich auf den Gedanken kommen, sich auf einen sogenannten „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ (§ 313 Abs. 1 BGB) zu berufen, indem er versucht geltend zu machen, dass er ohne die bis dato verpflichtende Beachtung der HOAI-Mindestsätze nur zur Zahlung einer geringeren Vergütung bereit gewesen wäre. Es ist aber davon auszugehen, dass eine solche Argumentation vor Gericht in aller Regel nicht durchdringen wird.
Ein Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass
Zwar ist anerkannt, dass Gesetzesänderungen und Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage führen können. Auch ließe sich möglicherweise annehmen, dass die Unionsrechtskonformität der Mindest- und Höchstsätze zur Grundlage einer Honorarvereinbarung geworden sein kann.
Die Anwendung von § 313 Abs. 1 und 2 BGB dürfte jedoch am Kriterium der „Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag“ scheitern. Hierfür kommt es nämlich entscheidend darauf an, ob die Umstandsänderung (bzw. die anfängliche Fehlvorstellung) zu einem erheblichen Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung geführt hat.
Dieses „erhebliche Missverhältnis“ ist dabei kaum vorstellbar:
Entsprechend ist in Folge des EuGH-Urteils in aller Regel keine Anpassung oder gar Kündigung bestehender Honorarvereinbarungen nach § 313 BGB zu erwarten. Dies belegt auch ein von der BIngK, dem AHO und der BAK beauftragtes unabhängiges Rechtsgutachten.
Entscheidend ist vor allem, dass eine Honorarvereinbarung getroffen wird, die auch den wirtschaftlichen Interessen der Planer gerecht wird! Die „Rückfalloption“ der verbindlichen Sätze der HOAI gibt es nach dem Urteil faktisch nicht mehr, eine Berufung auf § 7 Abs. 5 HOAI scheidet daher aus. Einer Bezugnahme auf die HOAI in der Vereinbarung steht jedoch natürlich nichts entgegen.
Wie im gesamten Verfahren stehen die Planerorganisationen BIngK, BAK und AHO nun auch bei der Findung einer Lösung in engem Austausch mit den Fachministerien.
Möglicherweise wird es ein Modell analog dem der Steuerberater geben. Auch die Steuerberater mussten ihre Mindestsätze aufgeben und die Bundesregierung hat in Abstimmung mit der Europäischen Kommission ein Modell entwickelt, wonach künftig statt von Mindestsatz von einem Regelsatz auszugehen ist.
Von diesem Regelsatz kann durch Vereinbarung abgewichen werden, worauf der Steuerberater seinen Mandanten hinweisen muss. Diese mögliche Abweichung unterliegt dabei aber einem ausdrücklichen Angemessenheitsvorbehalt, der sich nach bestimmten Kriterien - wie etwa der Schwierigkeit der Planungsleistung - richtet.
Natürlich ist das Model kein vollwertiger Ersatz für die Mindestsätze, aber es steht zu hoffen, dass dieses Modell einen Preisrutsch nach unten verhindert.
Sobald hier das formale Verfahren zur Änderung der HOAI eingeleitet wird, werden wir darüber unterrichten.
Zusätzlich haben wir Ihnen hier eine Information des AHO zu den Auswirkungen des EuGH-Urteils auf HOAI-Verträge bereitgestellt:
Unser Justiziar Dr. Andreas Ebert und seine Kollegin Monika Rothe stehen unseren Mitgliedern gerne bei allen weiteren Fragen zu den Konsequenzen des HOAI-Urteils zur Verfügung.
Dr. Andreas Ebert
+ 49 (0) 89 41 94 34-15
Monika Rothe
+ 49 (0) 89 41 94 34-24
Fotos: Chickenonline / Pixabay.com; Birgit Gleixner; zerbos / stock.adobe.com; Rawpixel / Pixabay.com; Bayika
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